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Herr D. bei Marina und Christina

Seitenblick

Von Hans W. Korfmann

Eigentlich war dieser Ort viel zu klein für zwei Läden. Dennoch führten die beiden Ladenbesitzerinnen Marina und Christina eine beinahe friedliche Koexistenz und spotteten mit ihren direkt nebeneinander liegenden Lebensmittel-, Souvenir-, Badezubehörläden seit Jahren den Thesen von Globalisierung, Monopolisierung und Kapitalanhäufung. Herr D. allerdings wusste nie, ob er nun zu Marina oder Christina gehen sollte, wenn er zwei Birnen kaufen wollte, denn immer wieder geriet er bei dem Versuch der gerechten Verteilung seines Kapitals aus dem Rhythmus.

Am 28. Oktober wählte er Marina. Wie immer lief der Fernseher, der auf dem Kühlschrank mit holländischem Käse, dänischer Butter, aber immerhin noch griechischem Retsina, stand. Aber an diesem Morgen kullerten keine Frauentränen griechischer Soapoperas über die Mattscheibe. An diesem Morgen starrte Marina auch nicht allein in den Fernseher, sondern es standen noch andere Dorfbewohner in dem winzigen Laden und sahen in den Nachrichten, wie sich die Menschen prügelten, wobei immer wieder jemand die griechische Fahne durchs Bild schwenkte.

Am Abend, im Kafenion, sah Herr D. die Bilder von der Schlägerei zum zweiten Mal. Das griechische Fernsehen ist berühmt für seine vielen Wiederholungen. Und anschließend sah er die Militärparade in Thessaloniki. Denn am 28. Oktober 1940 hatte der griechische König das Angebot Mussolinis, sich kampflos zu ergeben, abgelehnt, worauf hin die Griechen in den albanischen Bergen einen heldenhaften Kampf führten und einen heldenhaften Tod starben. Komisch eigentlich, dachte Herr D.: In anderen Ländern feiert man den Frieden, und hier feiert man den Kriegsausbruch.

"Aber dass Ihr Euch dann gleich wieder prügeln müsst!", scherzte Herr D., doch keiner der Fernsehzuschauer auf den wackeligen Stühlen des Kafenions antwortete. Der Wirt rückte näher: "Das hat nichts zu bedeuten. Das ist nur wegen der Fahne, die der beste Schüler der Stadt tragen darf. Und wenn das dann zufällig so ein Albanerkind war, dann haben sich immer alle aufgeregt: ein Albaner mit der griechischen Fahne! Jetzt, in Saloniki, war es zwar wieder eine Griechin, aber die wollte keine Fahne tragen. Der Militärumzug sei ihr zuwider. Da haben sich wieder alle aufgeregt."

Herr D. versuchte, die wilde Diskussionsrunde zu verstehen, die anschließend ausgestrahlt wurde. Es gelang ihm nicht.

Frankfurter Rundschau - 2005
© Hans W. Korfmann

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