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Herr D. und die Skirennen

Seitenblick

Von Hans W. Korfmann

Nicht, dass so ein lebenslanger Beamter wie Herr D. nun ein begnadeter Skiläufer wäre. Seit seiner Kindheit hatte er nie wieder auf den Brettern gestanden, die für Österreicher und Schweizer die Welt bedeuten. Aber Herr D. sah sie sich doch immer wieder gerne an, die verschneiten Berge in den Reisekatalogen, in den Filmen mit dem Tiroler Ureinwohner Trenker, sogar die Skirennen im Fernsehen ließ Herr D. nicht aus.

Herr D. kannte sogar die Strecken, auf denen der so genannte Skizirkus stattfand, insbesondere die Abfahrtsstrecken, und neben der Streif war Gröden seine liebste Strecke. Gröden mit den legendären "Kamelbuckeln", diesen zwei knapp hintereinander liegenden Höckern, die die alpinen Abfahrer gleich zwei mal zu Skispringern machten. Bis es dann irgendwann einmal so einem verwegenen Skigenie gelang, mit einem Satz gleich über beide Hügel zu springen. Da sprangen auch die Kommentatoren in ihren Kabinen von den Sitzen auf, so wie seinerzeit der begeisterungsfähige österreichische Radiokommentator Finger beim Siegestor gegen Deutschland: Tor, Tor, Tor, i foass es net, Tor, Tor, Tor. . . - Keiner war so leidenschaftlich dabei wie dieser Eddi Finger, der seine Karriere folgerichtig mit einem Herzinfarkt während einer Liveübertragung beendete.

Bei den Kamelbuckeln allerdings hüpfte auch Herr D. noch jedes Mal aus dem Sessel. Nirgendwo sonst trennte sich die sportliche Spreu vom sportlichen Weizen so augenscheinlich, denn noch immer legten ängstliche Fahrer eine Zwischenlandung im Tal zwischen den beiden Höckern ein, während Miller und Meier darüber segelten wie Düsenjäger.

Deshalb gehörte Gröden zu den schönsten Vorweihnachtsfreuden des Herrn D., und jedes Jahr suchte er in der Fernsehzeitschrift rechtzeitig nach dem Termin. Doch in diesem Jahr suchte er vergeblich. Er blätterte vor und zurück, er studierte den Sportteil von drei verschiedenen Tageszeitungen, er suchte bei den verschiedensten Sportsendern, doch nirgends stand ein Wörtchen über Gröden. Bis er dann zufällig auf Sat 3, dem Sender für austrophile Pifkenesen, in den österreichischen Spätnachrichten vom Ausgang des Rennens erfuhr. Offensichtlich hatten die Deutschen die spektakuläre Abfahrt aus dem Programm genommen. Wahrscheinlich, weil kein deutscher Rennläufer mehr unter den ersten 50 war.

Aber war das ein Argument? In Gedanken schrieb Herr D. gleich mehrere Beschwerdebriefe und beklagte sich, dass es im Fernsehen keinen Sport mehr, sondern nur noch Deutsche zu sähen gäbe. Dass ihn diese herumballendernden dünnen deutschen Feldjäger mit ihren dünnen deutschen Langlaufskiern furchtbar langweilten, und dass er die Befürchtung habe, die Übertragung der Fußball-Weltmeisterschaft würde womöglich nach einigen Tagen eingestellt, weil die nationale Elf schon in der ersten Runde kapitulieren musste. Aber sie wurden nie geschrieben, die Briefe blieben für immer in Statu Nascendi.

Frankfurter Rundschau - 2005
© Hans W. Korfmann

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