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Herr D. am Neusiedlersee - Original

Seitenblick

Von Hans W. Korfmann

Herr D. war Beamter. Afrika, Asien, Amerika und Australien waren fremde Kontinentefür ihn. Er blieb lieber Daheim in Europa, im Sommer ein bißchen Griechenland, und im Winter ein bißchen Österreich. Er tat es sozusagen dem jüngsten Altkanzler gleich und fuhr an einen Alpensee.
Der allerdings lag nicht in einem übervölkerten Täler der einsamen Berge Tirols, sondern er fuhr in ein Bundesland, mit dem weder die skifahrenden Ausländer noch die einheimischen Hinterweltler etwas zu tun haben wollten. Herr D. fuhr ins Burgenland, dessen höchste Erhebung gerade mal vierhundert Meter aufwies und dessen berglose Einwohner - vergleichbar den deutschen Ostfriesen - , dem Alpenvolk vornehmlich zum Spott dienten.
Anstatt der Berge jedoch hatten die armen Burgenländer den Neusiedlersee. Knietief nur, so erzählte man, doch so weit, daß das gegenüberliegende Ufer unsichtbar blieb. So weit, daß sich bei richtigem Wind wahre Wellen von ein bis zwei Metern auftürmten. Für die Einheimsischen war der See so etwas wie der Indische Ozean und ein Meer der Legenden. Die Menschen an seinen Ufern erzählten, daß er nicht selten ganze Boote verschluckte. Für immer. Denn der morastige Ufergürtel mit seinem haushohen Schilf war ein undurchdringliches Dickicht, das bis Ungarn und bis in die Slovakische Republik hineinwucherte.
Für die wahren Österreicher allerdings, die Eberhardters oder Hermanators, die Messners oder Haiders aus den hohen Bergen, blieb das Latein der Fremden am See eine fremde Sprache. Die hatten ihre eigenen Sagen von Yetis und Ötzis, von verschwunden Bergsteigern und ewigen Berggeistern...
Die Burgenländer jedenfalls hatten nur wenige Freunde auf der Welt, und deshalb war Herr D. ein gerngesehener und willkommener Gast in Neusiedl am See Schon von weitem grüßte der schlacksige Kellner den „Herrn vom Auswärtigen Amt...“, reichte die Hand und machte den Hans Moser Diener. „Setzens Sie do, gnädger Herr, wos doafs soi?“ - „Ein Gulasch und die Kronenzeitung!“, sagte Herr D., und der Kellner sagte: „Ein Gulasch und die Kronenzeitung selbstverständlich der gnädge Herr!“
Die Kronenzeitung war das alpine Pendant der BILD-Zeitung, doch auch die Burgenländische Ausgabe erzählte nur selten Legenden vom See. Obwohl immer wieder Menschen und Schiffe im Morast verschwanden, stocherte sie lieber in den Überresten einer verschrumpelten Leiche herum, die ein österreichischer Gletscher nach tausenden von Jahren endlich freigegeben hatte, und titelte: „Mordfall Ötzi! Ein politisches Komplott?“ Verwundert las Herr D., wie der österreichische „Univ. Prof. Dr. Walter Leitner“ den „hinterhältigen Mord“ vor 5300 Jahren so genau rekonstruiert hatte, als hätte ein intergalaktisches Medium ihm übereinstimmende Zeugenaussagen zugespielt. Der Wissenschaftler berichtet, daß „politische“ Konkurrenten dem „Stammeshäuptling“ in den Ötztaler Alpen aufgelauert hätten. Während einer ihn vorn mit einem Messer bedrohte, hätten zwei Bogenschützen ihn von hinten erledigt. „Im Dorf“, weiß der Professor-Doktor zu berichten, „streuten sie das Gerücht aus, der alte Mann habe sich im Gebirge verlaufen“ - Die These, daß es sich beim Ötzi um einen verirrten Fremden und somit ein historisches Opfer von Fremdenfeindlichekeit gehandelt habe, wurde widerlegt.
Herr D. saß vor den gigantischen Semmelknödeln, die Gott sei Dank bis ins Burgenland hinuntergerollt waren, und dem ungarischen Gulasch, das es bis in die Berge hinauf geschafft hatte, sah auf den See hinaus und war glücklich. Der See war grau und spiegelglatt, keine winzige Welle durchbrach die endlos-gerade Linie, kein einziges Segel störte den Frieden am Horizont. Denn über dem Neusiedler See lag dickes Eis.
„Wollens wieder Oislaufen auf unsam See, gnädger Herr?“, beugte sich der Kellner zu Herrn D. hinunter. „Da müssans no a bisserl woaten, das Eis is noa jung!“
„Aber das macht doch nichts!“, sagte Herr D, der es liebte, als einziger auf diesem weiten See seine Kreise zu drehen. „Bei uns in Berlin ist das Eis immer so dünn! Und da sind die Seen sogar richtig tief!“ - „Wie sie meinen, gnädiger Herr!“, sagte der Kellner, hob kurz seine schwachen Hans-Moser-Schultern und war bereit, den besserwissenden Piefke für immer im Eis verschwinden zu lassen.
„Da gehen Sie nicht drauf!“, stellte der Mann am Nebentisch in einwandfreiem Deutsch fest. „ Und wenn ich Sie da eigenhändig wieder runterholen muß!“, sagte der Mann im orangefarbenen Dress der österreichischen der Straßenwacht. „Wenns mit ihra Sandalen auf unsara Berg herumkraxeln, is mir das wurscht,“ sagte er zur Kellnerin im schwarzen Rock, „aber auf unsaran See kommens net mit dera Ausrüstung. Weil das nämlich a See ist und net a Badewanne! Scheiß Ausländer...“
Die Kellnerin sah den Deutschen D. an, lächelte und hob die Moser-Schultern. „Machen Sie sich nichts draus“, sagte sie, „Der meint das nicht so. Hier ist ja sonst nichts los!“ Deshalb fuhr der orangene Mann fort. „Ich werd Sie schon aufhalten. Wir haben schon die Türken aufgehalten. 1525. Sonst hätten die Deutschland schon damals plattgemacht. Bis zum Knöchel stand uns das Blut. Bis zum Knöchel. Aber wir haben sie zurückgedrängt. Und jetzt kommen sie wieder. Wollen sich in die EU einschleimen. Und ihr Piefkinesen haltet Ihnen die Tür auf. Na bravo! Aber wir werdens Euch zeigen. Wir werden abstimmen. Eine Volksabstimmung wird’s geben. Und ich sag Euch: Da wird kein Österreicher dafür sein. Keiner“
Herr D. kam gerne ins Burgenland. Er liebte diese einfachen Leute.

Frankfurter Rundschau - 2006
© Hans W. Korfmann

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