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Herr D. nach der WM

Seitenblick

Von Hans W. Korfmann

Seit Tagen herrschten tropische Temperaturen in Berlin, die wenigen Kleider, die die Menschen noch trugen, klebten an den Leibern, und in den Straßencafés gab es kaum noch Plätze. Doch auch Herr D. war durstig, und die einzigen zwei freien Stühle, die er in der Bergmannstraße noch fand, standen an einem Tisch mit zwei jungen Frauen.

Kaum saß er, schwiegen die Freundinnen und musterten den Herrn D. Erst, als er ein harmloses Bier bestellte und ansonsten vollkommen desinteressiert tat, fuhren sie damit fort, sich über Niko und Bastian zu unterhalten. Herr D. versuchte nicht hinzuhören, aber es dauerte nicht lange, da wusste er, dass Niko gestern beim Zahnarzt gewesen war, nie anrief, zu Ausreden neigte und immer zu spät kam, während Bastian immer zu früh kam, vor allem beim Geschlechtsverkehr, was auf die Dauer unerträglich sei, dazu einen Hang zur Völlerei und infolgedessen einen Bauch habe und überdies dem Alkohol den Vorzug vor der Liebe gebe. Weshalb sie gestern, nach sechs Jahren, endlich und endgültig den Abschied eingereicht habe.

Da schrie die Freundin kurz auf, legte einen Finger auf die Lippen und zischte. Denn just näherte sich ein junger Mann dem Tisch, der bereits einen kleinen Bauch hatte, schüchtern lächelte und den freien Stuhl heranzog, als hätte der nur auf ihn gewartet: Bastian. Aber die neue Exgeliebte signalisierte eindeutig, dass sie keinerlei Interesse an einem Gespräch mit ihm habe.

Herr D. kippte das Bier herunter und floh. Schließlich mied er auch die amerikanischen Ehedramen in Film und Fernsehen, erst recht die Seifenopern des Vormittagsprogramms, die den deutschen Nachwuchs nachhaltiger zu prägen schienen als die deutsche Bildungspolitik. Doch die Wirklichkeit ließ sich nicht abschalten, und schon drei Wochen später traf er die eine von ihnen wieder.

Es war in einem Biergarten, auf der anderen Seite war das weite Feld des Flughafens Tempelhof mit dem verbeulten Rosinenbomber. Während die Kinder in einem Teich planschten, grölten die Eltern nach Deutschland, Klinsi oder Schweini. Da stand sie plötzlich vor ihm, Bastians Freundin. Sie hatte eine kleine Deutschlandfahne auf der Wange und befand sich nach dem dritten Tor gegen Portugal gerade im Freudentaumel. Sie taumelte aber nicht allein. In ihren Armen hing der Mann mit dem kleinen Bauch. Die allgemeine deutsche Euphorie hatte auch sie ergriffen und dabei womöglich die Vernunft in der Frau besiegt. Herr D. sah ihnen zu und überlegte, wann die allgemeine deutsche Depression das glückliche Paar wieder einholen würde.

Frankfurter Rundschau - 2006
© Hans W. Korfmann

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