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Herr D. und der Park

Seitenblick

Von Hans W. Korfmann

Das Schönste an Herrn D.s Wohnung war der Park. Immer wehte aus dem Wäldchen ein kühler Wind, Menschen waren auf den Wiesen und grillten oder lasen, nachts ertönten vom Berg leise die Trommeln, im Herbst standen Drachen über den Wiesen, und im Winter tönten die hellen Stimmen rodelnder Kinder durch die dünne Luft.

Eines Tages aber erschütterte ihn die Geschichte von dem torsolosen Kopf, der in seinem Park gefunden wurde. Auch als er von der Vergewaltigung hörte, reagierte Herr D. verstört. Und als eine Freundin erzählte, wie sie gerade ihren 50. Geburtstag in der Villa am Park feierte, als eine wilde Schießerei ausbrach und ihr Auto durchsiebt wurde, wie man es sonst nur in schlechten Krimis sieht, begann er, sein idyllisches Parkbild zu revidieren.

So kam es, dass Herr D. sofort an ein Verbrechen dachte, als er eine damenlose Damenhandtasche auf dem Spielplatz fand. Er untersuchte sie und zog einen Pass, einen Schlüssel, ein Notizbuch und ein Tagebuch hervor. Im Notizbuch standen Name und Adresse, auch die Telefonnummer. Doch es lief immer das Band. Er hinterließ die Nachricht, dass er die Tasche einer Jutta Mayer gefunden habe, aber niemand meldete sich. Auch nicht auf den Brief, den er an die Kreuzberger Adresse aus dem Notizbuch schickte. Herr D. war einem Kapitalverbrechen auf der Spur! Er sah sie schon vor sich, die kopflose Leiche. Oder die Gefangene im Keller. Jutta nach acht Jahren und gelungener Flucht vor den Fernsehkameras der Weltöffentlichkeit. Aber Herr D. ging nicht zur Polizei. Er hatte keine Lust auf unangenehme Fragen. Davon würde Jutta auch nicht mehr lebendig. Denn wer hielt schon sein Opfer im Keller gefangen, die meisten brachten die Frauen gleich um. Also studierte er die Zeitungen - auf der Suche nach einem Lebenszeichen oder einer Leiche namens Jutta Mayer. Nirgends eine Spur.

Bis drei Wochen später das Telefon klingelte. Jutta hatte eine sehr lebendige Stimme, sie kam aus dem Urlaub in der Toskana. Am Abend vor der Abreise hatte sie mit Freunden im Park Gitarre gespielt, plötzlich waren die Taschen weg. Was denn noch drin gewesen sei in der Tasche, fragte sie. Herr D. zählte alles auf. Da brach sie in Jubel aus. Wegen des Tagebuchs. "Da sind Aufzeichnungen aus einem halben Jahr drin!" Dem Geld schien sie nicht nachzutrauern. Also revidierte Herr D. sein revidiertes Parkurteil. Immerhin hatten die Diebe ihr Pass, Tagebuch und Schlüssel gelassen. Im Park versammelten sich nicht nur Verbrecher, sondern auch sehr sympathische junge Leute.

Frankfurter Rundschau - 2006
© Hans W. Korfmann

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