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Herr D. und die Winterwelt am Potsdamer Platz

Seitenblick

Von Hans W. Korfmann

Herr D. war vor dem plötzlichen Wintereinbruch in den gut geheizten Untergrund am Potsdamer Platz geflüchtet und zu dem Schluss gekommen, dass fast alles, was hier zum Konsum angeboten wurde, so überflüssig war wie die Teddybären, die Ampelmännchen oder die mit den Jahren kleiner werdenden Mauerbröckchen der Souvenirläden am Checkpoint Charlie. Etwas verärgert, aber aufgewärmt, verließ er die glänzende Unterwelt und trat ans trübe Tageslicht des Potsdamer Platzes, wo ihm ein fieser Regen entgegenwehte. Er lief ein paar Schritte, als sich ihm eine Holzhütte in den gewohnten Weg stellte. Die Holzhütte hieß "Salzburger Stiegl-Alm" und war, wie eine Lautsprecherstimme verkündete, aus 300 Jahre altem Hüttenholz gezimmert und wegen des "durchschlagenden Erfolgs im vergangenen Jahr - 2,5 Mio. Besucher! - bereits zum 3. Mal in Berlin".

Es dauerte eine Weile, bis Herr D. verstand: Die "Winterwelt am Potsdamer Platz" war eine Verkaufsausstellung, in der Österreicher versuchten, Österreich zu verkaufen. "Und in der Mitte dieses wunderschönen Platzes ist die Snow & Fun Arena für die Kinder." Herr D. sah eine Art Karussell, auf der sich fünf Kinder langsam im Kreis drehten. Sie wurden auf Skiern über einen braun-grauen Kunstschnee gezogen, immer im Kreis, wie die Ochsen in der Tenne. "Und wir haben für Sie die größte mobile Rodelbahn Europas auf diesen wunderschönen Platz gestellt." Herr D. sah eine 50 Meter lange Holzpiste, auf die ständig neuer Kunstschnee gespritzt werden musste, weil der Regen ihn gleich wieder wegschwemmte. Nebenan warben Reiseveranstalter mit 30 km schneesicheren Pisten in 2526 Metern Seehöhe.

"Auch an feschen Mädels soll es heute Abend nicht mangeln, meine lieben Berliner..." Tatsächlich sah Herr D. einige Blondinen in futuristischer Skikleidung, die durch schnittige Sonnenbrillen ins graue Tageslicht guckten. Allmählich fühlte sich Herr D. wie in der Trumanshow, der letzte Echte in einer künstlichen Welt. Entschlossen, wie Truman bei der Flucht durch die Leinwand, trat Herr D. auf die "Schmankerl Hütte" zu, über deren Tür in fetten Lettern "Republik Österreich" stand, als überschreite man nun die Grenze.

Tatsächlich war drinnen alles in Nationalfarben, rot-weiß kariert die Tischdecken und Gardinen, ein hölzerner Jesus hing über der Bühne des "Ski-Circus", an den Wänden Heugabeln, Kuhglocken, kitschige Bilder röhrender Hirsche. Auch die Partyhütt'n der Firma "Bergmann Eventgastronomie" bestand "aus 180 Jahre altem Hüttenholz". Am Ende wusste Herr D. nicht, was ihm lieber war: Die Teddybären unter dem Granit von Sony und Daimler oder diese Invasion Österreichs mit warmen Leberkässemmeln. Wobei man die immerhin essen konnte - im Gegensatz zu Mauerbröseln.

Frankfurter Rundschau - 2006
© Hans W. Korfmann

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