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Bestraft oder bezahlt

Herr D. lernt von Männern im Park, wie unterschiedlich gleiche Arbeit entlohnt wird

Von Hans W. Korfmann
Berlin Feuilleton

Plötzlich war es wieder ruhig im Park. Der Rummel mit seinen lauten Karussells war weitergezogen, keine heulenden Sirenen, keine kreischenden Mädchen auf fliegenden Untertassen und keine Marktschreier und Losverkäufer mehr, die dem Volk seit fünfzig Jahren Hauptgewinne versprachen. Obwohl das Volk sowieso keine Lose mehr kaufte, denn das Volk hatte begriffen, dass man ihm etwas vorgaukelte. Das Volk setzte jetzt auf Aktien. Und verlor schon wieder.

Herr D. beschloss, dem vom Rummel verlassenen Park einen Besuch abzustatten. Er spazierte zuerst zum kleinen Tiergehege, wo ihn früher der Kakadu begrüßt hatte. Doch der war eingespart worden, nebst Waschbären, Gänsen und einem Beo. Jetzt standen nur noch einige voll gefressene Ziegen im Gehege herum, während nebenan eine Hand voll Kaninchen an faulen Salatblättern herumknabberte .

Herr D. spazierte weiter zum Wasserfall, doch der Wasserfall hatte kein Wasser. Den ganzen Sommer hatte Herr D. darauf gewartet, dass die Attraktion des Bezirks wieder plätscherte, doch erst zur Eröffnung des Rummels wurde das kostbare Wasser endlich aufgedreht. Nun waren der Rummel und das Wasser wieder fort. Und dort, wo vierzehn Tage lang die Buden und Karussells der "Festlichen Tage" gestanden hatten, wuchs kein einziger Halm mehr, breitete sich pockennarbig die Wüste aus.

Herr D. wollte angesichts der voranschreitenden Trostlosigkeit schon wieder umkehren und den Fernseher einschalten, da sah er die Gärtner. Sie rechten, säten, walzten und sperrten die Baustellen auf den grauen Grünflächen mit bunten Bändern ab. Sie arbeiteten langsam. Sie waren nicht mehr die jüngsten. Sie sahen aus, als mache ihnen die Arbeit keinen Spaß. Herr D. nahm auf einer Bank in der Sonne Platz und sah, wie eine andere kleine Gruppe von Arbeitern, ausgerüstet mit großen Zangen, Papierschnipsel aus der Rasenfläche klaubte. Herr D. erinnerte sich daran, wie er - lang war es her - ein Mädchen vom Beckenrand ins Wasser gestoßen hatte, woraufhin ihm der Bademeister eine ebensolche Zange in die Hand gedrückt hatte. Papierklauben war eine Strafarbeit im Eberstädter Freibad gewesen. Als zwei der lustlosen Papierklauber sich zu ihm auf die Bank setzten und versuchten, sich mit den letzten Resten bröseligen Tabaks eine Zigarette zu drehen, erzählte ihnen Herr D. die Geschichte von damals.
Doch die Gärtner lachten nicht, sie drehten schweigend weiter an ihren Zigaretten. Dann aber sagte der eine doch noch etwas: "Und wofür werden wir eigentlich bestraft?"

"Na, sie werden doch bezahlt, oder?", meinte Herr D. "Bezahlt!", höhnten sie wie aus einem Mund, "Bezahlung nennen Sie das?" - "Sagen Sie bloß, das ist schon so'n Ein-Euro-Job?", lachte Herr D. Die beiden Männer lachten noch immer nicht. "Wissen Sie", sagte nun der Dicke mit dem Baumfällerhemd, "ich arbeite hier jetzt eigentlich schon seit 30 Jahren. 1975, da war ich bei 'ner Gartenbaufirma. Wir haben dort gearbeitet, wo die städtischen Gärtner nicht nachkamen. Wir haben richtig gearbeitet und wir haben richt'ges Geld bekommen. Da war ich das erste Mal hier im Park."

"Genau", sagte der andere, ein vom vielen Rauchen hagerer und gelber Mann mit schlabberigen Hosen. "Damals haben das noch richtige Firmen gemacht."

"In den Neunzigern ging die Firma Pleite", erzählte der Dicke weiter, "wie so viele andere auch. Weil jetzt alles fertig war in der neuen Stadt, und weil plötzlich die Sozis anfingen, in den Gärten und auf den Friedhöfen das Papier zu klauben und das Laub zu rechen."

"Genau", sagte der Dünne. "Die haben uns die Arbeit weggenommen."

"Und dann war ich hier auf ABM", sagte der Holzfäller, "zwei Jahre. Offizielle Berufsbezeichnung: Parkbegeher. Wir sollten aufpassen, dass niemand den Omis die Handtaschen klaut, dass die Hunde brav in die Büsche gehen und keine Kinder fressen. Eigentlich saßen wir die ganze Zeit nur auf der Bank. Wie die Rentner. Aber es gab einigermaßen Geld dafür. ABM-Tarif eben."

"Und die in Brüssel haben das Projekt gelobt, weil wir ja niemandem die Arbeit weggenommen haben", sagte der Dünne.

"Nee, 'ne Parkaufsicht gab es noch nicht. Da hatten sie für uns 'nen neuen Job erfunden. Und wir gingen den ganzen Tag hier rum, mit 'nem Schildchen auf der Brust und den armen hinterm Rücken verschränkt. Wir zeigten Präsenz. Mehr nicht. Aber nach zwei Jahren war Schluss."

"Schade", sagte Herr D., "das könnte ich mir auch vorstellen. Den ganzen Tag spazieren gehen und Geld dafür bekommen."

"Neeneenee", sagte der Holzfäller, "so nicht. Ich hätte auch lieber was Ordentliches gemacht, anstatt hier doof herumzusitzen. Obwohl die Omis und die Muttis mit ihren Kiddis ja ganz glücklich waren mit uns. Die fühlten sich sicherer. Die Polizei hat ja keine Zeit mehr für so was."

"Naja, und jetzt?", wollte Herr D. wissen.

"Was jetzt?", fragte der Dicke.

"Was machen Sie jetzt hier?"

"Strafarbeit", sagte der Dicke.

"Weil wir keine ordentliche Arbeit gefunden haben", ergänzte der Dünne.

"Und was kriegen sie dafür?"

Der Holzfäller winkte ab. "Vergessen Sie's."

"Sagen Sie doch mal?", insistierte Herr D.

"Sie fragen wegen den Ein-Euro-Jobs, oder? Aber ich verstehe dieses ganze Geschrei um die Ein-Euro-Jobs sowieso nicht. Wissen Sie, früher gab es für Sozialhilfeempfänger drei Mark die Stunde zusätzlich für so 'ne Arbeit. 60 Stunden im Monat. Drei Mark oder ein Euro die Stunde, was macht das für 'nen Unterschied? Aber ich kann Ihnen was anderes sagen: Ich habe dreißig Jahre lang gearbeitet und dreißig Jahre lang in einer schönen, kleinen Wohnung gewohnt. Gleich da drüben. Dreißig Jahre. 60 Quadratmeter, zwei Zimmer. Jetzt bin ich ausgezogen. Weil das Sozialamt die Miete nicht mehr zahlt. Jetzt wohn ich in Marzahn, Platte, ein Zimmer, 35 Quadratmeter."

"Das sagt doch alles, oder?", meinte der Dünne und nickte so heftig mit dem Kopf, dass Herrn D. ganz schwindlig wurde

Frankfurter Rundschau - 2004
© Hans W. Korfmann

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