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Die Idee

Herr D., der Zigarettenautomat und der Einfallsreichtum eines Gastwirts

Von Hans W. Korfmann Berlin Feuilleton

Herr D. war auf dem Weg zur Arbeit - zu Fuß, denn das Rad hatte schon wieder einen Platten. Übel gelaunt gedachte er seiner Kollegin, der Liebich, als er plötzlich einen Zigarettenautomaten durch die Tür der "Aubergine" fliegen und begleitet vom Geräusch zerberstenden Glases aufs Pflaster aufschlagen sah.

Das passiert einem nicht jeden Tag, dachte Herr D. und wartete, bis der Besitzer des Zigarettenautomaten in der Tür erschien und mit verdutztem Gesichtsausdruck die verbeulten Überreste seines Automaten begutachtete. "Und du kannst froh sein, dass du nicht gleich hinterhergeflogen bist und so aussiehst wie dein blöder Automat da", hörte Herr D. von hinten die Stimme des Lokalbesitzers. Gut gelaunt setzte er jetzt seinen Weg zur Arbeit fort, nicht einmal die Liebich konnte seiner guten Stimmung etwas anhaben.

Noch am Abend betrat Herr D. gut gelaunt die "Aubergine", um bei Scharif, einem polnischen Tunesier, eine italienische Pizza zu essen und endlich wieder mal ein Schwätzchen mit den Leuten aus der Straße zu halten: über die wachsende Zahl der Arbeitslosen unter seinen Nachbarn, die neuesten Begründungen bei Kündigungen und Entlassungen, die letzten noch verbliebenen Geschäfte in der Straße und Ähnliches mehr. Und um sich von Scharif, dem Mann aus dem Land der Märchenerzähler, die kleine Geschichte vom fliegenden Zigarettenautomaten erzählen zu lassen.

Scharif machte noch immer eine finstere Miene. Herr D. beschloss, erst einmal in Ruhe seine Pizza Mista zu essen. Der Chef würde irgendwann ohnehin an seinen Tisch kommen. Er wusste, dass man sich in mageren Jahren persönlich um seine Gäste kümmern musste, wenn man welche behalten wollte. Doch diesmal ließ Scharif sich Zeit, Herr D. musste drei Bier trinken und war bereits der letzte, schon leicht angeheiterte Gast, als Scharif endlich kam.

"Sag mal", fragte Herr D., "könnte es sein, dass ich heute Morgen einen fliegenden Zigarettenautomaten gesehen habe?" Scharif schüttelte den Kopf. "Unmöglich! Ein Zigarettenautomat ist doch kein Teppich!" Scharif hatte eigentlich keine Lust zu erzählen.

Aber dann erzählte er doch. Wie dieser Typ von der Automatenfirma da schlecht gelaunt hereinkam und sich weigerte, zwei Zigarettenmarken gegen andere Marken auszutauschen, weil er dann noch einmal hätte zum Auto gehen müssen. Und wie er dann langsam immer patziger wurde, "dieser Penner", und wie Scharif dann langsam und klammheimlich immer wütender wurde, bis er den ganzen Automaten nahm und auf die Straße beförderte, als handele es sich um eine winzige Packung Extra-Light.

Lokal der Kulturen

"Weißt du, Herr D., ich arbeite seit 23 Jahren in der Gastronomie, ich habe in Tunesien, in Polen, in der DDR und im Westen gearbeitet, und ich höre es, wenn jemand auch nur ,Kanake' denkt! Vielleicht bin ich da ein bisschen sensibel. Aber wenn mir jemand sagt: ,Also, hör mal zu, du...' oder: ,Mach doch mal, du...' und dann kommt nichts mehr hinter dem... du..., dann höre ich diese leeren Stellen in den Sätzen und weiß, dass da eigentlich Kanake, Araber, Ausländer stehen müsste. Ich höre das, was die verschweigen. Verstehst du?"

Herr D. nickte.

"Und weißt du, was ich verdiene an diesen Zigarettenkästen? 23 Euro im Jahr! 23 Euro! Dafür verqualmen sie mir die weißen Wände, dafür reiße ich jeden Abend die Tür auf, damit frische Luft reinkommt, obwohl ich die ganze Zeit heize. Und dann gebe ich meinen Gästen noch Geld, wenn der Automat es schluckt und keine Zigaretten herausgibt. Und vergesse dann, es abzurechnen. Die Automaten sind ein Minusgeschäft, glaube mir das, ein einziges Minusgeschäft. Und dann fängt dieser Depp noch an, mich als faulen Kanaken zu beschimpfen. Wenn wir nicht wären, hätte der ja nicht mal eine Arbeit, oder?"

Herr D. nickte.

"Du weißt ja, Herr D., ich habe Politologie studiert, ich war immer engagiert, in Polen, in der DDR, und ich bin es auch hier noch. Auch wenn es jetzt nicht mehr um Sozialismus oder Solidarnosc geht, sondern um meine eigene Haut. Meine dunkle Haut. Oder um die Kopftücher. Oder um die Turbane. Ich frage dich: Warum dürfen die Juden in Deutschland noch ihren Bart tragen, wo doch das Kruzifix oder das Kopftuch in den Klassensälen verboten ist? Ist das nicht auch ein politisches oder von mir aus religiöses Symbol? Warum erlaubt man es den einen und verbietet es den anderen?"

Herr D. nickte.

"Weißt du, ich bin der Chef der ,Aubergine', das ist mein Lokal. Und ich habe eine Idee: samstags Krawattenzwang! Ohne Krawatte fliegst du raus, Herr D. Und sonntags ist Kopftuchzwang. Ohne Kopftuch fliegst du raus, Herr D. Montags ist Turban. Dienstags nur Leute mit Rauschebart..." Scharif schlug sich auf die Schenkel. "Und weißt du was? In zehn Jahren, das sag ich dir, in zehn Jahren sind die hier alle die besten Freunde! Und dieses Lokal hier ist richtig berühmt! Weil das dann wirklich Multi-Kulti ist und nicht so ein blöder Karnevalsumzug wie beim Karneval der Kulturen!"

Herr D. nickte.

Frankfurter Rundschau - 2004
© Hans W. Korfmann

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