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Ein besonderes Verhältnis

Herr D. mochte keine Hausmeister. Nicht die beste Bedingung für ein Leben in Berlin mit seinem Nachkriegs-Hausmeisterton. Doch dann traf Herr D. den leidenschaftlichen Schrauber vom Dachgeschoss

Von Hans W. Korfmann
Berlin Feuilleton

Herr D. wusste nicht, wie sich Hausmeister in anderen Ländern benahmen, aber zu deutschen Hausmeistern hatte er ein ausgesprochen problematisches Verhältnis. Schon als Kind machten sie einen schlechten Eindruck auf ihn: Sie sprachen nicht, sondern sie bellten. Sie waren fünfzig Jahre alt, hatten einen bösen Blick und zogen ein Bein nach. Wenn sie einmal etwas sagten, dann sprachen sie über den Krieg oder über "Adolf". Das Schlimmste an ihnen aber war, dass sie keine andere Aufgabe zu haben schienen, als Kinder aus den Höfen zu jagen. Deshalb hatte Herr D. ein gestörtes Verhältnis zu Hausmeistern. Das machte das Leben in Berlin nicht leicht für den Herrn D., denn ganz Berlin sprach in diesem Nachkriegs-Hausmeisterton.

Die Berliner wussten immer alles besser, besonders Akademikern gegenüber. Besonders die Hausmeister. Der Meister im Haus von Herrn D. war ein Mann, der im obersten Stockwerk wohnte und etwa zehn Fahrräder vor seiner Wohnungstür abgestellt hatte. Als Herr D. einmal wegen eines tropfenden Wasserhahnes anklingelte, stellte sich heraus, dass auch die Wohnung voller Fahrräder war. An den Wänden hingen Reifen, Räder, Ritzel und Rahmen, auf dem Boden lag Werkzeug verstreut. Der Hauswart schien ein leidenschaftlicher Schrauber zu sein. "Erst zwanzig Jahre lang studieren, und dann nicht mal nen tropfenden Wasserhahn reparieren können!", sagte der Hausmeister, warf die Zange auf den Boden und wusch sich die schwarzen Finger.

Als der Hausmeister aber sah, dass Herr D. schon selbst Hand an den tropfenden Hahn gelegt, ihn ordnungsgemäß in seine Einzelteile zerlegt und auch wieder zusammengeschraubt hatte, machte der Hausmeister ein freundlicheres Gesicht. "Haben wohl auch Maschinenbau studiert, wa?", sagte er und grinste von unten hoch. "Was machen Sie denn jetzt eigentlich? Sie ham ja noch nen richtigen Job, wa? Ich seh Sie ja immer mit dem Fahrrad losradeln, immer schön pünktlich, kann man die Uhr nach stellen!"

"Büro. Nichts besonderes... - langweilig..." , versuchte Herr D. den richtigen Ton zu treffen. Aber der Hausmeister sah ihn mit heruntergezogener Lippe misstrauisch an. "Wolln Sie 'n Kaffee?", fragte Herr D. Der Hausmeister nickte. Kaffee war OK! Mit Kaffee oder Bier, damit gewann man in Berlin das Herz jedes Proletariers. Sogar das der Hausmeister.

Der Meister schaute von da an öfter bei Herrn D. vorbei. Auf einen Kaffee sozusagen. Meistens samstags, meistens dann, wenn Herr D. schon die Schuhe angezogen hatte und mit dem Einkaufszettel in der Hand da stand und gehen wollte. Der Hausmeister aber hatte immer etwas Neues und Wichtiges zu erzählen: von der Hausverwaltung, von den Mietern, vom Hof, von den Klempnern. Der Hausmeister war so etwas wie die Nachrichtenzentrale des Hauses, er musste quasi geschäftlich im gesamten Haus Kaffeetrinken. Zu Herrn D. aber entwickelte er - der geleisteten Vorarbeit am tropfenden Wasserhahn wegen - ein besonderes Vertrauen. Der Hausmeister begann, aus seinem Leben zu erzählen: von der Studienzeit, den Freundinnen, den Reisen, den Joints im Park, und immer wieder dem Job als Dozent an der FU. Herr D. hörte geduldig zu. Er verstand, dass ihn das Leben mit den Fahrrädern und den drei Katzen in seiner Wohnung unterm Dach nicht ganz ausfüllte. Aber dass er immer dann klingeln musste, wenn Herr D. gerade zum Einkauf starten wollte - das verstand Herr D. nicht. Am Samstag vor Ostern wies er auf die Eile hin, in der er sich samstags eigentlich immer, dieses Mal aber ganz besonders, befände, und am nächsten Wochenende blieb der studierte Hausmeister aus. Den Samstag darauf auch. Er blieb nun überhaupt aus.

Reuevollen Gewissens stieg Herr D. eines Tages die Treppen hinauf, doch oben waren die Fahrräder verschwunden, niemand öffnete die Tür. Der Hausmeister war verschwunden. Er traf ihn Monate später auf der Straße. Er erzählte, dass der Gerichtsvollzieher gekommen sei. Er habe schon vorher mit dem Gerichtsvollzieher zu tun gehabt, dem Herrn Busche, das sei ein netter Mann gewesen, bekannt im ganzen Viertel. Mit dem habe man sich arrangieren können, der habe sich ausgekannt im Leben. Auch, wenn man mal die Miete nicht habe überweisen können. Aber jetzt seien Neue da. Jetzt würde es Ernst. Jetzt versuchten sie, sogar aus den Wohnungen der Ärmsten noch was Brauchbares herauszuholen.

Alles hätten sie ihm genommen, die Katzen mit einem Tritt vor die Tür befördert, die Fahrräder konfisziert, sogar das alte Hollandrad von seinem Opa. Auch das Ladegerät für sein Handy, er könne nicht mal mehr telefonieren. "Die haben mir nichts gelassen außer den paar Klamotten am Leib. Glauben Sie mir das? Nee, das glauben Sie mir wieder nicht! Ich seh's Ihnen ja an. Aber ich schwörs: So wars. Und dafür hat man nun studiert!"

 

Frankfurter Rundschau - 2005
© Hans W. Korfmann

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