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Kraftprobe in der Kneipe

Herr D. versucht vergeblich, dem Armdr ücken aus dem Weg zu gehen

Von Hans W. Korfmann
Berlin Feuilleton

Herr D. trank nicht nur Bier, er aß auch leidenschaftlich gerne Fleisch. Und da man es auch nach der Kür Berlins zur Hauptstadt nicht wagte, gegen den Willen der Berliner die viel diskutierte Sperrstunde einzuführen, konnte Herr D. seiner Fleischeslust beinahe zu jeder Tages- und Nachtzeit frönen. Auch dieses Mal überkam sie ihn erst spät, Mitternacht war längst vorüber. Unverdrossen schwang Herr D. sich auf sein geliebtes Rad, bestellte schon in der Tür die Nummer 162 und wartete auf seinen Ouzo, von dem kein Gast dieses Lokales verschont blieb.
Kaum hatte er getrunken, kam ein Mann an seinen Tisch und lächelte ihn an, während ein anderer Mann ihn am Ärmel von Herrn D.s Tisch wieder wegzuziehen versuchte. "Nein, Olli, nein! Heute gibt es kein Armdrücken!" – "Bitte, bitte, nur ein Mal!"
" Nein, heute wird kein Armdrücken gemacht!"
Herr D. war etwas beunruhigt, obwohl der lächelnde Doppelzentner eigentlich ganz friedlich aussah. Dennoch war er erleichtert, als auch der Wirt, ebenfalls ein lächelnder Doppelzentner, an den Tisch seines Stammkunden D. kam und sich setzte. Olli interpretierte das als Aufforderung, sich ebenfalls zu setzen, und auch der kleine Mann an seinem Ärmel saß schließlich an Herrn D.s Tisch.
" Alles klar?", fragte der Wirt und grinste Herrn D. an. Herr D. nickte, und setzte höflich hinzu: "Bei Ihnen auch?"
" Ach", seufzte nun der dramatische Grieche und zog die Augenbrauen in die Höhe, "Es geht schlecht. Sehr schlecht! Die Leute haben kein Geld mehr. Manchmal ist das ganze Lokal leer!"
" Genau!", sagte Olli, "kein Geld mehr! Komm, wir machen Armdrücken. Um einen Retsina!"
" Olli, du bleibst jetzt ganz ruhig hier sitzen!" Olli machte ein beleidigtes Gesicht.
" Und wenn noch Leute hereinkommen, dann suchen sie auf der Karte nach dem günstigsten Gericht!", sagte der Wirt. "Bald werde ich hier nur noch Souflaki machen!"
" Weil die Leute kein Geld mehr haben!", sagte Olli. "Komm, wir machen Armdrücken!" Olli schielte lächelnd nach Herrn D.s schwachen Bürokratenoberarmen.
" Also, wenn’s um den Retsina geht", sagte Herr D., "da könnte ich Ihnen der Einfachheit halber auch einfach einen spendieren. Da bräuchten wir uns nicht so anstrengen!"
" Es geht doch nicht nur ums Geld", sagte der Schwergewichtler und verdrehte die Augen. "Ein Mann braucht ab und zu auch mal ein Erfolgserlebnis", sagte Olli. "Ich bin früher für Sotheby’s und Christie’s gefahren, ich habe Kunstwerke durch die Landschaft kutschiert, die kosteten Millionen. Millionen! Die haben mir vertraut, verstehst du? Die wussten, bei mir sind die Dinger gut aufgehoben. Und jetzt? Nix mehr. Nix!"
" Olli, hör auf. Die Geschichte kennen wir alle schon."
" Aber es ist doch wahr. Ich habe da wirklich gutes Geld verdient. Und jetzt haben sie einen eingestellt, der kann nicht mal Armdrücken. Wiegt die Hälfte und fährt für die Hälfte!"
" Olli, hör auf. Wir haben doch alle keinen Job mehr!" Der Begleitschutz des ehemaligen Kunsttransporteurs begann wieder, nervös an Ollis Ärmel zu herumzuzupfen.
" Na, der da, dieser komische Vogel, der hat doch bestimmt noch ’nen Job!" Olli sah Herrn D. an. "Das ist doch auch so einer, der sich noch bedankt, wenn der Chef ihm sagt, dass er kein Geld mehr hat. Und dass jetzt alle für die Hälfte arbeiten müssen, damit es überhaupt irgendwie weitergeht. Schau dir mal seine Arme an!"
Jetzt, dachte Herr D., würde Olli ihn fragen, was er denn eigentlich so arbeite. Und wenn er dann sagen würde, dass er Beamter sei, auf Lebenszeit, im Auswärtigen . . . – er hätte keine Chance mehr gehabt gegen Olli.
Also krempelte Herr D. den Ärmel hoch. Herr D. war eben anders als der Kanzler. Er sah ein, dass jetzt nur noch Taten halfen. Die Deutschen mussten sich dieses ewige Gerede vom Zusammenhalten und Gürtelengerschnallen schon lange genug anhören.
Herr D. setzte seinen Bürokratenarm an, Olli strahlte. Herr D. hatte beschlossen, Olli gewinnen zu lassen, der Mann brauchte dringend ein Erfolgserlebnis. Aber als er die ersten Schweißperlen auf Ollis Stirn sah, siegte der Kampfgeist über das Mitgefühl in Herrn D. Er startete einen unerwarteten Konter, Ollis Arm ging zu Boden.
" Das hätte ich nicht gedacht", sagte Olli, "fährst du auch Lkw?"
" Ich bin Beamter. Beim Auswärtigen", sagte Herr D.
Olli stutzte, überlegte, und dann sagte er: "Macht nix. Hauptsache, du bist ein Mann." Olli reichte ihm die Hand und winkte nach dem Wirt: "Einen Retsina für meinen Freund hier."
So weit ist es also schon mit ihnen gekommen, dachte Herr D. auf dem Heimweg, dass sie jede Niederlage widerspruchslos wegstecken. Es scheint, als h ätten die wiedervereinigten Deutschen nichts gründlicher gelernt als das Verlieren.

Frankfurter Rundschau - 2003
© Hans W. Korfmann

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