Hieb- und schussfest
Der Innensenator hat gute Laune. Er kann bald alle Polizisten gleichzeitig in neue Westen stecken
"Sie haben Glück, dass Herr Werthebach Sie noch empfängt. Heute ist sein letzter Arbeitstag. Und" – Herr Paris zog die Augenbrauen eine bedeutungsvolle Spur höher hinauf – "der Senator ist in bester Laune! Wahrscheinlich, weil er morgen in Urlaub fährt."
Möglicherweise lag der Grund für das seelische Wohlbefinden des Berliner Innensenators jedoch auch in jenen 75 Millionen, die man ihm am Tag zuvor zum Erhalt der inneren Sicherheit zugesichert hatte. Denn während andere Ressorts Kürzungen ihres Etats hinnehmen mussten, hatte Eckart Werthebach seine Forderungen durchsetzen können. Freundlich erschien die Presselandschaft an diesem Morgen, auch dem Senator weniger geneigte Blätter bescheinigten dem CDU-Politiker diplomatisches Geschick.
Derart gestärkt stand Herr Eckart Wer-thebach vor dem respektablen Schreibtisch seiner Kanzlei. Mit einem schmalen Lächeln auf den Lippen und legerer Geste wies er dem Gast den Platz an. Tief versank der Besucher in der Ledergarnitur, winzig saß er vor dem niedrigen Glastisch unter der hohen Decke der Kanzlei, während der Senator wenig Eile zeigte, sich zu setzen, sondern die Großzügigkeit des Raumes nutzte, einige Schritte auf und ab zu gehen. Endlich aber saßen sich die Gesprächspartner gegenüber, bequem stützte der Senator die Rechte auf die Lehne seines Ledersessels, zündete ein Streichholz, um in der Folge des Gespräches mit der glühenden Spitze des Zigarillos die Bedeutung wichtiger Sätze zu unterstreichen oder, bei unkonkreten Fragen des Gastes, in kleinen Kreisen und Kringeln ihre Belanglosigkeit zu unterstreichen.
Die erste Frage vernahm er mit wohlwollendem Nicken. Er wiederholte es gerne noch einmal: "Ich habe immer darauf hingewiesen, dass das Land Berlin nach dem Umzug der Bundesregierung hauptstadtbedingt eine ganze Menge von Aufgaben erfüllen muss, die vorrangig im Bundesinteresse erledigt werden. Von daher habe ich auch meine Forderung abgeleitet, der Bund solle zur Gewährleistung der inneren Sicherheit einen gewissen Obolus beisteuern. Nun hat die Bundesregierung sich bereit erklärt, 75 Millionen für die hauptstadtbedingten Mehrkosten zur Verfügung zu stellen – zuzuwenden, wie das technisch heißt. Das ist eine Zusage, und ich habe keinen Grund, an dieser Zusage zu zweifeln, aber es bedarf dazu eines Haupstadtfinanzierungsvertrages, der in den nächsten Monaten auszuhandeln ist."
Zufrieden zog der Senator am Zigarillo. "Alle Ressorts haben sparen müssen, so auch wir. Aber die Polizei bildet gewissermaßen eine Ausnahme, sie wird diesen Schluck aus der Pulle erhalten. Das sind zusätzliche Mittel in Höhe von 35 Millionen DM, aus denen heraus wir eine massive Verbesserung der Ausrüstung und Ausstattung unserer Polizei finanzieren wollen." In der Presse sei zu lesen gewesen, der Senator habe mit seinem Rücktritt gedroht, falls er keine ausreichenden Mittel erhalte. Eckart Werthebach neigte den Kopf ein wenig zur Seite, um den Wortlaut seiner Antwort genauestens abzuwägen: "Nein, aber ich habe gesagt: Das kann ich nicht verantworten!"
Als der Gast nach der unzureichenden Summe fragte, die man dem Senator anfangs angeboten hätte, beschrieb die Spitze des Zigarillos einen exorbitanten Kreis: "Eine weitaus geringere als die, welche wir jetzt abgeschlossen haben!" Nun wollte der Gast wissen, wofür genau der Senator die 35 Millionen zu verwenden gedächte. Es sei die Rede gewesen von neuen Schutzwesten für fünf Millionen Mark? Sehr richtig. Der Senator nickte. "Wir bezahlen heute für die hieb- und stichfesten bzw. die ballistisch überprüften Westen pro Stück etwa 1000 Mark. Und wir haben zurzeit eine Ausstattung für circa 3700 Mitarbeiter. Ich möchte im Laufe des Jahres 2001 alle Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, bei denen dies erforderlich erscheint, mit einer Weste ausstatten, die sowohl hieb- und stichfest als auch schusssicher ist." Der Fragende im Polster wurde noch etwas kleiner. Welch eine Vorstellung: 10000 Polizisten in Rüstungen! Da käme einem ja das Grausen.
"Warum graust es Ihnen denn da?" Erstmals zeigte sich ein Lächeln auf dem Gesicht des Innensenators.
"Also, ich meine...", stotterte der Gast, "...also, ich halte das für übertrieben. Sie haben 3700 Westen. 3700 gepanzerte Polizisten gleichzeitig an einem Ort, das reicht doch!" Herr Werthebach wandte den Kopf eine Spur nach rechts, dann zurück nach links: "Wir hatten bei dem Clinton- oder dem Khatami-Besuch 5500 Sicherheitskräfte im Einsatz." Der Gast aber war uneinsichtig. Er war der Auffassung, dass es reiche, einen Teil dieser Beamten zu panzern. Steil ragte nun der Zigarillo in die Höhe, kraus wurde die Stirn des Grauhaarigen, langsam und bedeutungsvoll fielen die Worte: "Ich denke, dass es uns ein paar Mark wert sein sollte, wenn unsere Polizisten, die dort in den Einsatz gehen, vor angekündigten oder nicht angekündigten Aktionen entsprechend geschützt sind. Wenn Sie bedenken, dass so eine Weste pro Mitarbeiter nur 1000 Mark kostet, und dass das Fehlen einer solchen Weste das Leben kosten kann..." Der Gast nickte eifrig, und der Senator fuhr fort: "...dann ist das doch eine ganz einfache Rechnung! Ich glaube, das ist es den Berlinerinnen und Berlinern auch wert."
Nun aber meinte der Journalist, eine derart massive Polizeipräsenz müsse Unbehagen in der Stadt auslösen. Der Senator wurde allmählich ungeduldig: "Ich spüre ein ganz anderes Unbehagen. Dass nämlich die Polizei nicht genügend präsent ist. Die Forderung nach mehr Grün auf der Straße kommt ja von den Bürgern unserer Stadt. Wir registrieren hier jährlich 592000 Straftaten. Fragen Sie doch mal eines von den 592000 Opfern dieser Straftaten! Was der dazu sagt, wenn ich die Beamten aus den Wohnvierteln abziehen muss, weil sie zum Beispiel Herrn Khatami schützen sollen. Da sagt doch der Bürger: Ich habe nach dem Grundgesetz ein Recht auf den Schutz vor Kriminalität. Was er auch hat! Das muss ich gewährleisten. Und dazu brauche ich Personal und Ausrüstung."
Der Senator hatte es sich bequem gemacht, auf der einen Seite stützte ihn die Lehne des Sessels, auf der anderen das Grundgesetz. "Also, das ist das erste Mal, dass mir jemand sagt, wir täten zu viel!" Während der Journalist nun von der gemeinsamen neuen Leitstelle von Polizei, BKA und des BGS begann, sah der Senator auf die Uhr. Schon wieder fiel das Wort "Unbehagen".
Die Stimme des Senators klang väterlich und nachsichtig: "Ich weiß nicht, was für ein Unbehagen Sie meinen! Es mag ja sein, dass einer kleinen Minderheit in dieser unserer Stadt das staatliche Gewaltmonopol nicht gefällt – vor allem dann nicht, wenn es effektiv ausgeführt wird. Aber es ist eine der grundlegenden demokratischen Erkenntnisse, das staatliche Gewaltmonopol unangetastet zu lassen. Und das kann ich nur garantieren, wenn der Staat auch in der Lage ist, dieses Gewaltmonopol auszuüben, das heißt den Bürgerinnen und Bürgern einen weitgehenden Schutz vor Feinden, Kriminellen jeder Art zu gewährleisten. Das ist die Aufgabe, die ein Innensenator hat. Und daran muss er sich messen lassen."
Schon zum zweiten Mal steckte die Sekretärin den Kopf durch die Tür. Der Senator entschuldigte sich, draußen warte der GdP-Vorsitzende, mit dem man über den Haushalt zu beraten habe. Freundlich geleitete Herr Paris den Gast durchs Vorzimmer, wo in einer Ecke ein wohlbeleibter Herr saß, das Aktenköfferchen auf den Knien, und auf seine Uhr sah.
Frankfurter Rundschau - 2000
© Hans W. Korfmann
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