Hinter der blauen Tür
In seiner Plattenbauwohnung in der Friedrichstraße
schreibt Frank Schumann anderer Leute Reden
Frank Schumann sitzt bequem mit ausgebreiteten Armen
in seiner braunen Büffelledergarnitur vor dem Aquarium und
erzählt aus seinem Leben. Der Namenlose, der sich hinter Autobiographien
von Künstlern, Politikern und Wirtschaftskapitänen verbirgt
und fremde Vitae erfolgreich in Worte faßt, genießt
es, einmal von sich selbst zu sprechen. Irgendwie wurmt es manchmal
ja doch, nie aus dem Schatten der Stars hervortreten zu dürfen,
nie wirklich die Früchte seiner Arbeit ernten zu können.
Das höchste Lob erfuhr der Ghostwriter, als er
nach dem Erscheinen der Autobiographie einer berühmten Künstlerin
lesen durfte: "Zumindest hat sie ihr Buch selbst verfaßt
und nicht von anderen schreiben lassen." Andererseits macht
es auch stolz, wenn von ihm verfaßte Reden Beifallsstürme
auslösen, wenn die Presse ihn im Namen anderer zitiert, wenn
er seine Worte abends im Fernsehen hört. Und er weiß
genau: "Ich fühle mich wohl hinter der Schreibtischbarriere.
Wenn ich auf die Bühne müßte vor 100 000 Menschen,
ich würde mich vor Scham unterm Rasen verkriechen!" Die
Zeiten, als Schumann sich noch freute, seinen Namen gedruckt zu
sehen und klopfenden Herzens die Leute in der U-Bahn beobachtete,
die seine Artikel in der Weltbühne und in der Jungen Welt lasen,
sind lange vorüber. Die "ewige Suche nach Themen, das
Stochern im Kaffeesatz" politischer Aussagen ist nicht mehr
seine Welt.
Nun wirkt er im Hintergrund indem er anderen
seine Worte leiht, sowie als Verleger der edition ost. Frank Schumanns
1991 gegründeter Verlag ist auf Zeitgeschichte spezialisiert,
hauptsächlich auf Memoiren ehemaliger DDR-Funktionsträger.
Seinen ersten großen Erfolg landete der kleine Verlag 1994
mit Honeckers "Moabiter Notizen". Hermann Axen hat bei
Schumann publiziert, Hans Modrow und weitere ehemalige ZK-Mitglieder
und ZK-Mitarbeiter, zu denen er seit den Zeiten als stellvertretender
Chefredakteur der Jungen Welt über gute Kontakte verfügt.
Der Fahrstuhl im Plattenbau in der Friedrichstraße
ist verkratzt mit Namenszügen, Herzen und angedeuteten Hakenkreuzen,
die billige Rauhfasertapete löst sich an einigen Stellen, im
engen Hausflur hallen die Schritte. Vor der blauen Wohnungstür
mit dem Spähauge ein Paar Turnschuhe, an der Wand Plakate von
Ausstellungen in Trier oder Brüssel, Farbtupfer aus dem Westen,
die der Mann mit dem Reisepaß einst mit nach Hause brachte
auf die sozialistische Insel. Drinnen im Flur steht ein Käfig
mit Hamster und Kaninchen neben allerlei Schuhwerk. Vom Feingefühl
des Verlegers und Ghostwriters zeugen Malereien an den Wänden
und zwei Steinskulpturen: "Diese Figur hier, aus kenianischem
Speckstein und vom andern Ende der Welt, die könnte von Käthe
Kollwitz sein. Genial!" Ansonsten braucht er nicht viel mehr
als einen Platz für den Fernseher, ein Bett, einen Tisch, sagt
Schumann.
Hundert Quadratmeter stehen der Familie zur Verfügung,
inklusive Küche und "Naßzelle". Was die Wohnung
vom durchschnittlichen Plattenbau unterscheidet, ist der Parkettboden
in den ehemals als Diplomatensitz konzipierten Räumlichkeiten.
Fünf Jahre suchte Schumann, um für die Familie mit den
drei Kindern etwas Komfortableres zu finden als die Zweieinhalb-Zimmer-Wohnung
mit den drei Außenwänden in der Gubener Straße.
Im Ringtauschsystem, einer typisch ostdeutschen Erfindung, hatten
sich schließlich elf Mietparteien angesammelt, um ihre Wohnungen
untereinander zu tauschen. Doch als Schumann 1987 endlich fand,
wonach er suchte, und die Wohnung am Hackeschen Markt beziehen wollte,
weigerte sich der Bezirksschornsteinfeger, das desolate Dach zu
betreten, um den Kamin freizugeben.
Für drei Jahre bezogen Schumanns das Ausweichquartier
am Rosenthaler Platz, und erst als die Diplomaten 1990 die DDR verließen,
fand die Familie die Wohnung in der Friedrichstraße. Die Neubauten
stehen auf dem denkmalgeschützten Boden der Spandauer Vorstadt,
zwischen Spree und Friedrichstadtpalast, und repräsentieren
ein Stück DDR-Baugeschichte. "Mittendrin zu wohnen, das
ist die typische Lebensweise des Stadtmenschen. Und ich bin ein
Stadtmensch!" Er braucht nur durch den zementierten Hof zu
gehen, in dem noch Wäsche vorm Fenster im dritten Stock hängt,
vorbei an der Tischtennisplatte und dem Sandkasten, vorbei an der
bereits "dritten Bankgarnitur seit 1990", um in die Räume
seines Verlages zu kommen. Dort schreibt er Geschichte in
der edition ost.
Berliner Zeitung - 1997
© Hans W. Korfmann
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