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Vom Ausschluß der Öffentlichkeit

Kommentar zum "Kaindl-Prozeß"

VON HANS W. KORFMANN

Es ist schon merkwürdig, wenn am 11. Verhandlungstag und nach einem erbitterten Streit zwischen den Vertretern der Anklage und den Anwälten der Angeklagten plötzlich ohne Vorwarnung Ruhe und Frieden einkehrt im Gerichtssaal und alle Beteiligten rechts und links einvernehmlich mit den Köpfen nicken. Gewiß, die von Beginn an unsichere Anklage wegen Mordes konnte so nicht mehr aufrechterhalten werden ! Aber auch der vor drei Wochen durch eine richterliche Erklärung aktualisierte "Streitwert" (gemeinschaftlicher Körperverletzung mit Todesfolge anstatt gemeinschaftlichen Mordes) könnte von die Angeklagten einen hohen Preis fordern und wäre kein Grund für deren Rechtsbeistände, den Kampf um die Paragraphen aufzugeben und sich bequem  zurückzulehnen. Doch genau dieser Ausdruck sorgloser Zufriedenheit beherrschte schon Freitag vor zwei Wochen die Physiognomie der Verteidiger. Offensichtlich war man sich einig. Sogar als die Richterin den Antrag stellte, keine weiteren Zeugen mehr zu vernehmen, um den Prozeß "zügig zuende zu führen", fügte sich die vierzehnköpfige Besatzung der Rechtsanwälte nach zehnminütiger Beratung hinter verschlossenen Türen einträchtig der Prozeßführenden. Und das, obwohl die Verteidigung vorher angekündigt hatte, den Staatsschutzbeamten Harald. B, zumindest Co-Autor jener belastenden Aussagenprotokolle zweier Mitangeklagter, auf denen die gesamte Anklage basiert hatte,  ordentlich ins Kreuzverhör zu nehmen. Hier sollte viel "dreckige Wäsche gewaschen werden", so einer der wortführenden Anwälte zum Publikum, hier sollte etwas gesagt werden zu den fragwürdigen Methoden polizeilicher Verhöre, aber nichts dergleichen geschah!
(Seit dem 20. Oktober haben sich vor der 7. großen Strafkammer des Landgerichts sechs Türken und ein Deutscher im Alter von 19 bis 33 Jahren  wegen des Vorwurfs des gemeinschaftlichen Mordes an dem Landesschriftführer der rechtsextremen deutschen Liga, Gerhard Kaindl, zu verantworten. Ihnen wird vorgeworfen, am 3. April 1992  eine  Versammlung Rechtsextremer in einem Chinarestaurant in Berlin Neukölln tätlich angegriffen zu haben, nachdem  der Onkel eines der Angeklagten kurz zuvor von Kaindl beschimpft und bedroht worden war. Dabei hätten sie den Tod des Rechtsextremen, so die Anklageschrift, billigend in Kauf genommen und ihn darüber hinaus in einem gemeinsam verfaßten Plan und aus niederen Motiven ermordet.  Zur Anklage war es gekommen, als sich der psychisch überlastete Erkan S. im November 1993 der Polizei stellte und ein umfassendes Geständnis ablegte.)
Wie kommt es, nach lautstarken Auseinandersetzungen zwischen Richterin und Anwälten, Streitereien um winzigste Details und Formulierungen,  zu dieser plötzlichen Allianz zwischen Katz und Maus? Fragt sich der grübelnde Prozeßbeobachter, der bemerkt, daß er zwar keinen Prozeßtag dieser öffentlichen Verhandlung, wohl aber die entscheidenden Wendungen im "Kaindl-Prozeß"  verpaßt hat.  Die fanden nämlich hinter verschlossenen Türen statt. Unzählige Male zog sich das Hohe Gericht zu Beratungen und Beschlüssen vor der Öffentlichkeit und hinter die Eichenholzvertäfelung des Gerichtssaales zurück. Und nicht nur im Hinterzimmer scheint man sich zu treffen, auch zwischen den Verhandlungstagen arrangiert man sich, Staatsanwaltschaft, Richterin und die den Gesetzen freier Marktwirtschaft unterworfenen Anwälte.  Wie sonst ist es zu erklären, daß z. Bsp. die Mitangeklagte  Fatma B., deren Antrag auf Entlassung aus der Untersuchungshaft am Dienstag während der Verhandlung noch abgelehnt wird, (obwohl ein dringender Tatverdacht aufgrund übereinstimmender Zeugenaussagen eindeutig nicht mehr besteht) sich zwei Tage darauf doch auf freiem Fuß befindet. Was auch immer der Grund dafür sein mag, daß hier nicht nur über die Köpfe der Angeklagten, sondern auch über die der Öffentlichkeit hinweg entschieden wird - es ist bedenklich!
Daß die Richterin den Prozeß vom Tisch haben will, kann man verstehen: Er ist peinlich geworden. Es ist eben immer so ein Dilemma mit diesen politischen Prozessen, die selten genug auf einer fundierten Anklage fußen, sondern meist auf den wackligen Beinen zweifelhafter Aussagen vor zweifelhaften Vernehmungsbeamten balancieren. Und das gilt besonders für diesen, von Beginn an umstrittenen Prozeß. Wäre nicht die türkische Organisation "Antifasist Genclik" ins Spiel gebracht worden, die dem Staatsschutz längst ein Dorn im Auge ist und der drei Angeklagte erklärterweise angehören,  dann wären weder die Ermittlungen der Polizei mit dieser verbissenen Hartnäckigkeit durchgeführt worden, noch wäre der Prozeß zu dieser Dimension angeschwollen. Im Verlauf der Verhandlungen wurde schnell deutlich, daß eine  Anklage wegen "gemeinschaftlichen Mordes aus niederen (gemeint sind politische) Motiven"  allzu voreilig erhoben wurde und daß man mit einer gewissen Naivität auf die Vernehmungsprotokolle eines Staatsschutzes vertraute, dessen Methoden nicht das erste Mal fragwürdige Aussagen lieferten. Spätestens nach dem psychiatrischen Gutachten, das dem mitangeklagten Hauptbelastungszeugen paranoide Schizophrenie bescheinigte und sämtliche vor den Staatsschützern unterschriebenen Aussagen unverwertbar machte, war die Anklage einsturzgefährdet. Auch weitere, meist widersprüchliche Zeugenaussagen zu den Vorfällen am 3. April 1992 vermochten die Ruine nicht vor dem Einsturz zu retten. Ein Prozess der Peinlichkeiten - vom Tisch damit, lieber heute als morgen.
Jedoch auch der Verdacht liegt nahe, man wolle durch diese Verkürzung und den Verzicht auf eine weitere Befragung des Staatsschutzes dessen umstrittene  Vernehmungsmethoden decken.  Die Richterin wies diesen Vorwurf zurück und plädierte dafür, die Beschuldigungen gegen den Staatsschutz in einem gesonderten Verfahren zu erörtern. Jedoch: Wo kein Kläger ist, da gibt es keinen Schuldigen. Und ein Kläger ist noch nicht in Sicht.
Und noch etwas, vielleicht der wichtigste Aspekt dieser Auseinandersetzung, wird bei der beschleunigten Verhandlungsweise des Gerichtes untergehen: Antifa Genclik, ebenso wie die Vorfälle am 3. April 1992, machen deutlich, daß etwas nicht stimmt in diesem Land. Wo immer politische Gruppierungen gewaltsam aufeinandertreffen, stehen soziale Mißstände im Hintergrund. Die wachsenden, an Hinterhältigkeiten und Brutalität zunehmenden Aktionen Rechtsradikaler gegen jene Ausländer, die einst wesentlich zum deutschen Wirtschaftswunder beitrugen, nun aber für Armut und Arbeitslosigkeit verantwortlich sein sollen, können und dürfen nicht ohne Gegenreaktion bleiben. Das haben uns jene, die hier auf der Anklagebank saßen, mit ihrem wütenden Konter deutlich gemacht.
Was immer auch das Gericht bewogen hat, sich offensichtlich mit Staatsanwaltschaft und Verteidigern an einen Tisch zu setzen und den Prozeß an dieser Stelle zu beenden, einen Prozeß, der mehr Fragen aufgeworfen hat als Antworten gefunden: Es schmälert die Vertrauenswürdigkeit deutscher Rechtsprechung, wenn ein Verfahren in gemeinschaftlichem Einvernehmen und zur Zufriedenheit aller Beteiligten hinter verschlossenen Türen entschieden wird.
Schon vor zwei Wochen, als das Lächeln die sonst so mürrischen Mundwinkel der Herren Verteidiger umspielte, seien die Urteile ausgehandelt worden. So die einhellige Meinung der Prozeßbeobachter. Was in den Verhandlungstagen danach folgte, wäre demnach eine Farce - ein Schauprozeß für die Öffentlichkeit gewesen: Am vergangenen Freitag plädierte die Staatsanwaltschaft neben einem weiteren Freispruch für Freiheitsstrafen von bis zu vier Jahren, die Verteidigung blieb in erstaunlich kurzen Plädoyers weit darunter. Schon zur Mittagspause und dem frühzeitigen Ende dieses Verhandlungstages gab die Vorsitzende Richterin dem einstimmigen Antrag der Verteidiger auf sofortige Entlassung aller Angeklagten aus der Untersuchungshaft statt. Ein Beschluß, der niemanden außer den seit elf Monaten inhaftierten Angeklagten sonderlich erregt hätte - es war alles längst bekannt - und eine Vorentscheidung für den Ausgang dieses Prozesses. Auch das Urteil, das für den 15. November ohne sonderliche Spannung mehr erwartet wurde, brachte keine Wendung und bestätigte den Verdacht: Hier wurde vornehmlich unter Ausschluß der  Öffentlichkeit verhandelt

Freitag - 200?
© Hans W. Korfmann

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