Leben in der Zuckerdose
Juwelias Welt ist rosarot und himmelblau.
So hat sie auch ihre Wohnung eingerichtet. Niemand ist so weiblich
wie sie nur, sie ist ein Mann
Juwelia reizt. Schon 1992 zierte die singende Diva
die Titelseite des Zeitmagazins, der Spiegel besuchte sie, und die
voyeuristischen Kameraaugen von RTL und ARD verfolgten ihre langen
Beine auf den Bühnen der Stadt. Eigentlich müßte
sie längst der Star sein, der sie gern wäre. Aber ihre
letzte Show im "Kato" am Schlesischen Tor lief nur fünf
Abende, dann wurden die Räume weitervermietet zu wenige
hatten sich eingefunden, um der Schönen zu lauschen. Wieder
erlosch das ersehnte Scheinwerferlicht, und so tingelt sie weiter
durch die schwachbeleuchteten Kreuzberger Kneipen. Der finanzielle
Erfolg dieser abendlichen Touren ist beträchtlich doch
der ganz große Applaus bleibt aus.
Ein leiser Seufzer entringt sich ihrer Brust, wenn
sie abends in das dunkle Hinterhaus in der Graefestraße heimkehrt,
die Tür zu ihrer kleinen Wohnung öffnet, die hochhackigen
Pumps in die Ecke stellt und Marlene Dietrich und Hildegard Knef
über ihrem Schminktisch sie so sinnend anblicken. Aber unglücklich
ist sie nicht. Die kleinen Mißerfolge können ihre Liebe
zu sich selbst nicht schmälern. An den Wänden, auf den
Schminktischen, auf dem Bett, überall sind die Zeugen ihrer
Schönheit verstreut, trösten sie die Fotografien des funkelnden
Juwels in glitzernden Kleidern. Vor dem Bett mit rosafarbenem Bezug
steht der mit Muscheln rundum verzierte Fernseher, die Videomitschnitte
der Reportagen über die Frau mit der Federboa liegen griffbereit
auf dem Boden verstreut. Überall in der Wohnung Spiegel: im
Flur, im Bad und im Schlafzimmer. Sogar das Spülbecken hat
sie mit Spiegelscherben und bunten Kachelresten eingefaßt
eine Woche lang hat sie daran gearbeitet.
"Die ganze Wohnung ist wie das Äußere
einer Zuckerdose nach innen gekehrt!" sagt einer ihrer Verehrer.
Juwelia fühlt sich wohl in dieser Zukkerdose. Sie liebt die
Flakons mit den Duftstoffen vor dem dreigeteilten Spiegelschrank,
die Puderdöschen und den Nagellack, das Durcheinander aus Aspirin,
Kamillentee und Cremes auf einem Wandschrank neben der Spüle,
den Leopardenmantel auf dem Boden, die schwarzen Strümpfe über
dem Stuhl, die Spitzenhandschuhe und die Dessous, die silbernen
Abendkleider und die berühmte Federboa, die an der Garderobe
hängt.
In der kleinen Küche schweben die hölzernen
Figuren goldener Engel. Auf der Tür des Geschirrspülers
klebt ein Blumenmuster, in den Vasen stehen Rosensträuße
in allen Farben, unvergängliche Kunstprodukte aus Stoff, Papier
und Plastik, Aufmerksamkeiten ihrer Verehrer. Der Küchentisch
ist ein einziges Blumenbeet, unter Glas leuchten zwischen Papierblüten
kleine Lämpchen rosarot und himmelblau. Alles ist rosig
in Juwelias Welt, die Rüschenvorhänge vor dem Fenster,
das Telefon und der Glasflamingo.
Überall Kleider und Kostüme, längst
weiß sie nicht mehr wohin damit. "Ich liebe meine Kleider!"
In ihrem Schlaf- und Wohnzimmer steht die Nähmaschine, zwei
Lampen werfen Licht auf Berge von glitzernden Stoffen. Alles, was
Juwelia trägt, ist ihr auf den Leib geschnitten. Nur manchmal,
aus Liebe zu ihren Beinen, gerät ihr ein Kleid etwas zu kurz,
und es kommt vor, daß man ihr Mieder sieht beim Schritt auf
die Bühne.
Über der Badewanne auf der Wäscheleine baumeln
die Körbchen eines Büstenhalters. Niemand ist so weiblich
wie Juwelia. Nur eine Frau ist sie nicht. Als Stefan Stricker alias
Juwelia 1992 zum schönsten weiblichen Mann Berlins gekürt
wurde, schmeichelte ihr das nicht wenig. Doch seitdem sind fünf
Jahre vergangen. "Ich bin ja noch jung", sagt sie "siebenundzwanzig
Jahre jung. Aber für den normalen Arbeitsmarkt bin ich nicht
geschaffen! Ich hab doch schon alles mögliche probiert
ich bekomme Schweißausbrüche, wenn ich mit einem Kunden
sprechen muß."
Sie wirkt plötzlich etwas nachdenklich in ihren
Gesundheitssandalen und mit dem rotgestreiften Pullover. Doch wenn
sie am Abend die gewaltige Perücke, drapiert mit Rosen und
glitzernden Perlen, von der Garderobe nimmt, wenn sie in die Pumps
schlüpft und loszieht, dann ist die Welt in Ordnung.
Berliner Zeitung - 1997
© Hans W. Korfmann
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