Schöneberg von unten
Klaus Schmitt bewohnt eine kleine Zwei-Zimmer-Wohnung.
Aber hauptsächlich ein großes Kellergewölbe darunter
1968 zog Klaus Schmitt nicht nach Kreuzberg, wie anzunehmen
wäre, sondern nach Schöneberg. In eine Zwei-Zimmer-Wohnung
für 75 Mark. Und dort ist er geblieben. In seine Wohnung gelangt
er heute durch den akkurat gepflasterten Miniaturpark des Innenhofes,
neben seiner Wohnungstür, die im Sommer immer offen steht,
lehnt ein altes Fahrrad, vor dem Fenster steht eine Parkbank mit
gußeisernen Beinen. "Vom Sperrmüll, wie so ziemlich
alles", was Schmitt sein Eigentum nennt. Berlin war ein Paradies
für Sammlernaturen und mittellose Studenten, die Wohnungseinrichtungen
lagen während des deutschen Aufschwungs auf der Straße.
Im großen Zimmer um den runden Tisch stehen
ein Schaukelstuhl und fünf bequeme Sessel, jeder in seinem
eigenen Stil, alle bequem genug, um darin Nächte durchzudiskutieren.
Darüber thront ein Hochbett, ausreichend Platz für ermüdete
Freunde.
Am Fenster, auf dem kleinen Tisch mit dem Telefon,
liegt eine Brille ohne Bügel, zwischen diversen Zetteln und
Notizen je eine Ausgabe der "Sklaven" und der "Zeit"
sowie ein aufgeschlagenes Buch, das Auskunft über die Antriebswelle
und das Getriebe des 2CVs gibt. "Ich hab· so ziemlich
alle Farben durch, so viele Enten hab· ich schon gehabt",
sagt Schmitt.
Die hölzerne Treppe, über die Klaus Schmitt
vom Wohnzimmer ins Kellerreich steigt, führt in die Vergangenheit.
Besonders in diesem Luftschutzkeller zögert die Zeit, voranzuschreiten.
Was nicht weiß oder schwarz ist in den Räumen, wurde
mit roter Ölfarbe gestrichen: Fensterrahmen und Bänke,
Schränkchen und Regalbretter. Im leeren Partyraum liegen Matratzen,
und eine Tischplatte schwebt eine Handbreit hoch über dem Boden.
Doch die Gäste von damals tanzen nicht mehr, und eine Schaukel
in der Mitte zeugt von jüngeren Besuchern, die jetzt hier feiern.
"Mit Kindern komm ich sowieso viel besser klar als mit diesen
Altgewordenen", erklärt Schmitt. Immer, wenn er seinem
Wort Bedeutung verleihen will, schnellt die rechte Augenbraue in
die Höhe. Der linke, zottige Haarbusch bleibt dabei ungerührt.
Sich selbst rechnet Schmitt nicht zu den Altgewordenen,
er fühlt sich eher "irgendwo zwischen vierzehn und achtzig".
An der Wand neben der Bar am Ende des ausgebauten Kellergewölbes
lagern Stapel von Undergroundzeitschriften. Auf der Suche nach einer
Nummer der legendären 883, die er mal mit Peter Paul Zahl und
Bernd Kramer herausgab, huscht Schmitt wie ein Geist durch die Regale
im Flur, häuft vergilbte Zeugen vergangener Jahre auf dem Tresen
auf. "Daß ich die schönste nicht finden kann, das
is· ja blöd", sagt er und zieht eine weitere Brille
ohne Bügel zwischen Gläsern hervor. Damit kann er besser
sehen. Bügellose Brillen sind in der ganzen Wohnung verstreut,
weil er das ständige Suchen danach leid ist.
In dem Luftschutzkeller verbirgt sich die geistige
Heimat des Intellektuellen. Zwei mal drei Quadratmeter des "Spiegel"
haben sich angesammelt, die komplette Ausgabe seit 1965. Das
"Kursbuch" ist vertreten, die Philosophen der Frankfurter
Schule, und all die wissenschaftlichen Bücher, die der Diplomökonom
Schmitt einst für sein Studium brauchte. Neben dem Computer
im bücherumstellten Arbeitszimmer liegt die Gesamtausgabe des
seiner Meinung nach zu wenig anerkannten Zinstheoretikers Silvio
Gesell, weshalb Schmitt ihm ein Buch widmete. "Na, wie heißt
das doch gleich ah, ja: Silvio Gesell oder âMarx
der Anarchisten?"
Schmitt kann sich darüber amüsieren, daß
wohlhabende Dynastiemitglieder wie zum Beispiel die BMW-Erbin Quandt
täglich 650 000 Mark Zinsen einheimsen. "Also, wenn die
mittags aufwacht, dann ist sie um ·ne halbe Million reicher!"
Doch das Barometer seiner rechten Augenbraue ist dabei mehrmals
heftig ausgeschlagen, und Schmitt fügt ernst hinzu: "Wir
müssen den Markt vom Kapitalismus befreien."
Wenn ihn der Teufel reitet, verbringt der Forscher
Schmitt ganze Nächte in seinem Arbeitszimmer, verfaßt
Artikel, arbeitet an Büchern oder antwortet auf Jutta Ditfurths
Bestseller: "Ganz entspannt in die Barbarei" mit einem
dreißigseitigen Zornesausbruch. "Entspannen Sie sich,
Frau Ditfurth! Ein Versuch über das Faszinosum menschlicher
Dummheit!" Wenn er Hunger hat, geht er in die Küche gleich
nebenan, wäscht sich im alten Emaillewaschbecken einen Salat
oder schiebt ein Fertiggericht von Aldi in den Ofen. Auch die große
Badewanne für ihn und ehemalige Anarcho-Genossinnen befindet
sich hier unten. Die raffinierte Toilette auf dem zwanzig Zentimeter
hohen Sockel, der die Treffsicherheit männlicher Besucher auf
100 Prozent erhöht, brachte Schmitt bei den Damen viel Lob
ein. Die oberirdischen Räume sind im Grunde Luxus, zur Not
könnte er es in seiner Eremitage einige Jahre aushalten
mit seinen Archiven und seiner Vergangenheit.
Berliner Zeitung - 1997
© Hans W. Korfmann
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