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In der Schatzkammer des Herrn Körner

Seit mehr als 50 Jahren kauft ein Berliner Kitsch und Kunst in aller Welt. Heute hat er in seiner Wohnung in Mitte eine riesige Sammlung erotischer Kultur

Das Messingschild neben der Wohnungstür von Herrn Körner im zweiten Stock läßt nichts Ungewöhnliches vermuten. Auch die Kupferstiche von Sanssouci passen in jeden Hausflur. Erst wenn er nach dem Läuten die Tür öffnet und den vietnamesischen Bambusvorhang zu seinem Reich beiseite schiebt, erkennt man die Leidenschaft des 76jährigen Rentners: das Sammeln.

In der Schatzkammer des Herrn Körner findet sich ein Sammelsurium von Dingen, die er im Laufe seines Lebens aufgelesen und von seinen Reisen mitgebracht hat. Die Schränke im Wohnzimmer können schon lange nicht mehr alles fassen und werden begraben unter Skulpturen, Masken und Büchern. Das Zimmer dient als Ausstellungsraum, auf dem Boden die dicken Teppiche kommen aus dem Orient, sogar auf dem Kachelofen stehen hölzerne Masken und afrikanische Fruchtbarkeitssymbole. Abends wirft ein Kristalleuchter Licht auf die Szenerie aus Trödelladen und Museum.

Hier sitzt dann Herr Körner, mit braunkarierten Pantoffeln an den Füßen, in einem der drei antiken Sessel, umgeben von der Ernte seiner Leidenschaft und leiser klassischer Musik. In der Ecke, unter einer kleinen Vitrine, schaut der Kopf eines Pumas hervor, sein Fell ist aus Platzmangel unter dem Möbel verschwunden. An den Wänden hängen Trommeln, indonesische Schattenspielfiguren, dämonische Masken, über der Tür ein seltenes, hölzernes Tempelfries aus Indien ­ die geschnitzten Figuren stellen Zeugungsakt und Geburt dar, eine Fusion von Menschen und Gottheiten mit überdimensionalen Brüsten und aufragenden Phalli. Drei Tage hat Herr Körner für dieses Stück handeln müssen. Als der Inder die Säge ansetzte, um das Kunstwerk zu halbieren, gab der Fremde nach und zahlte. Ein Sofa inmitten des Raumes verschwindet gänzlich unter bestickten Kissen, Kohlezeichnungen und einer Porzellanpuppe, auf deren Gesicht die Zeit zarte Risse in den Teint gekratzt hat. Auf den zwei Tischen ist kaum Platz für die Kaffeetassen, alles ist über und über bedeckt mit Halbedelsteinen, Silberdosen, Büchern und der schlanken Ebenholzfigur zweier ineinander verschlungener Frauen. Immer wieder, zwischen zwei Originaldrucken von Kokoschka und Barlach, an einem Stück freier Wand, Zeichnungen, Drucke und Lithographien erotischer Motive: Eine Frau, bäuchlings über dem Bett liegend, ein Paar im Kuß vereint.

Die schönsten Stücke seiner Sammlung erotischer Kultur sind in einem großen Glasschrank aufbewahrt. Neben filigranen Elfenbeinfiguren mit millimeterkleinen Phallli ragen steinerne, überdimensionale Penisse auf, versehen mit einem blankpoliertem Griff aus Mahagoni. Umschlungene Paare aus Bronze und Silber in allen erdenklichen Variationen, zwei Würfel, geformt aus den Leibern von Mann und Weib, eines seiner Lieblingsstücke. Auch das kopulierende Paar aus Sandstein, das er aus Indien mitbrachte, kostete ihn viel Geduld und Überredungskunst.

Mit den Jahren ist die Sammlung derart gewachsen, daß Museen ihn zu Vorträgen einladen und sich die ausgefallendsten Stücke für Sonderausstellungen entleihen. Mehrere Bücher hat er verfaßt, darunter ein sechshundertseitiges Lexikon der Erotik. Ein anderes seiner Bücher ­ "Die Frau als Nußknacker, der Mann als Korkenzieher" ­ wurde sogar ins Japanische übersetzt.

Herr Körner genießt den Anblick seiner Sammlung, zeigt sie voller Stolz und hat viel zu erzählen. Es ist ihm immer gutgegangen, die 76 Jahre sieht man dem großgewachsenen Mann nicht an, und der jüngste Sohn ist erst zwanzig. Der Ursprung seiner inzwischen wissenschaftlichen Leidenschaft für Erotisches liegt weit zurück und war eher zufällig. Schon während des Studiums, als er seiner bibliophilen Neigung zuliebe antiquarische medizinische Bücher sammelte, stieß er bei einem Buchhändler auf eine Sammlung erotischer Literatur. "Heute", sagt er lächelnd, "umfaßt meine Bibliothek mehrere tausend Bände!"

Fotografien in den fünf Zimmern der Familie Körner sind dagegen selten. Herr Körners Vergangenheit lebt in seinen Schätzen. Die Flugtickets hängen wie Perlen an einer Kette aufgereiht, genug, um mehrmals die Welt zu umrunden. Nicht alles aber kommt von weit her: Den Totenschädel, den er über die Glühbirne einer Stehlampe im Flur gestülpt hat, fand er auf dem Müll. Und weil er nicht nur ein leidenschaftlicher, sondern auch ein humorvoller Sammler ist, hat er dem Totenkopf eine Schirmmütze mit dem ZDF-Heinzelmännchen aufgesetzt. "Auch der Stuhl hier, ein echter Thonet, ist vom Müll. Vieles habe ich von dort, aber heute findet man ja nichts mehr!"

Das geräumigste Zimmer ist das seiner Frau. Ein Tisch mit Chaiselongue und Sesseln, dicken Teppichen und Blumen. An der Wand zierliche Setzkästen mit einer Sammlung von Fingerhüten ­ ein paar hundert Stück. Manchmal ist Sammeln ansteckend.

Berliner Zeitung - 1997
© Hans W. Korfmann

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