Frau Konsenzius und das Unvergängliche
Bilder vom Sohn, Katzen aus Keramik und
Blumen aus Stroh machen die Wohnung einer Rentnerin zum ganz persönlichen
Museum. An jedem Stück hängt die Erinnerung
Die Häuser in der Weddinger Torfstraße,
die zum Teil noch heute auf Holzpfählen stehen sollen, um nicht
im weichen Untergrund zu versinken, wurden 1945 von den Bomben verschont.
Spuren haben die Tage des Krieges nur bei den Menschen hinterlassen.
Manche von ihnen wohnen noch heute hier.
Hinter der Wohnungstür im dritten Stock des Hinterhauses
verbirgt sich Alltägliches, davon aber eine ganze Menge: Im
Flur hängen Hufeisen, ein kleiner Strauß Strohblumen
und ein Schlüsselbord vor der Blümchentapete. Im Wohnzimmer
stehen die Sessel und das Sofa mit den bestickten Kissen, die Stehlampe
daneben. Auf der Lehne des mit Blümchendekor überzogenen
Sofas ein Stoffhund mit zerknautschtem Gesicht, eine Puppe mit blondem
Haar und eine Schlange mit Glubschaugen. In der Vitrine des gewaltigen
Furnierschrankes warten die Gläser in Reih und Glied seit Jahren
auf die Erfüllung ihres Daseins. Dazwischen steht der silberne
Kerzenständer mit drei unberührten Kerzen. In den anderen
zahlreichen Fächern des dunklen Möbelstücks ruhen
Porzellankatzen, Glasflamingos und bemalten Vasen. Auch die Herde
hölzerner Elefanten zaubert ein wenig Exotik ins Zimmer. Draußen,
hinter gelblichen Spitzengardinen, stehen die Mauern. Sie schaut
nicht oft hinaus, auch den Balkon benutzt sie nie. Aber mittags
fällt Sonne ins Zimmer, und die silbernen Fäden des Wandteppichs
aus Mallorca mit den Fischerbooten beginnen zu glitzern. Das ist
jetzt schon viele Jahre her, daß sie in Mallorca war, damals,
als ihr Mann noch lebte. Zwölf Jahre ist er jetzt tot.
Gleich neben dem Sofa an der Wand hängt eines
der Hochzeitsfotos, noch immer leuchtet der riesige Strauß
roter Rosen, sogar ihr Lächeln leuchtet noch von damals herüber.
Und gegenüber hängt sie noch einmal, eingehakt beim Bräutigam.
Daneben der Vater, schwarzweiß und in Uniform. Schaffner war
er gewesen, auch hier im Wedding. Eines Tages verließ der
Bus die gewöhnliche Route und raste zum Bunker. Da ist er dann
nie mehr herausgekommen, der Vater, 1945, ganz am Schluß.
Vierzehn Jahre alt war sie damals, wohnte noch in der Brüsseler
Straße, ein paar hundert Meter von hier. Mit 26 lernte sie
den Pförtner des Virchowkrankenhauses kennen, heiratete und
zog in die Torfstraße. Vierzig Jahre ist das her. Nee, nee,
sehr weit ist sie nicht gekommen, grad' mal über die Seestraße.
In der Bildergalerie an der Blümchentapete hängt
auch ihr Sohn. Er hat ihr den buntbemalten Stiefel aus Keramik mit
den Strohblumen geschenkt. Überall im Zimmer sind die unvergänglichen
Blüten, in Vasen im Schrank, auf dem zweistöckigen, fahrbaren
Tablett und zu Sträußen gebunden im Flur. Immortellen.
Der Sohn ist bis Amerika gewesen und hat Marterpfähle
mitgebracht, kunstvoll geschnitzt. Die stehen auch im Schrank. Am
besten aber gefallen ihr die Porzellankatzen, die sind so, als wären
sie echt.
66 Jahre alt ist Frau Konsenzius nun. Das Essen bringt
das Rote Kreuz, für sieben Mark. Sie ißt in der Küche,
am Tisch mit dem bläulichen Resopalbezug. Auf dem Boden eine
Kachel-Imitation aus Linoleum, auf dem Berliner Küchenherd
ein Brett mit einer Blümchendecke. Und die unsterblichen Blumen
in einer Vase
Im Flur neben der Schlafzimmertür hängt
in kreisrundem Goldrahmen das Bild von Spitzwegs Armem Poeten. Im
Schlafzimmer ist die dicke Daunendecke aufgeschlagen, die Pantoffeln
stehen unterm Bett. Neben der Kommode lacht eine amerikanische Entertainerin
in Richtung Ehebett. Unter der Decke ist es am wärmsten, das
war schon im Krieg so. Nicht mal im letzten Winter mit seinen eisigen
Temperaturen hat sie einheizen müssen. Sagt sie und lacht.
Manchmal ist sie ein bißchen einsam. Aber sie
hat Glück, ihr Sohn wohnt nicht weit. Gleich gegenüber,
Torfstraße 16. Pförtner ist er jetzt - hundert Meter
von hier - im Virchowkrankenhaus!
Berliner Zeitung - 1997
© Hans W. Korfmann
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