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tellerrand
Café Buchwald

Wiener sind Liebhaber

"Dos oanzige, wos mir hier ogeht, des san unsare Kaffeehäuser …", sagte der junge Wiener und begann mit einem Plädoyer über Berliner Fast-Food-Cafés mit Dr.-Oetker-Torten in futuristisch beleuchteten Vitrinen, trockenem Karstadtgebäck auf Papierservietten, falscher Sahne aus der Spraydose, abgestandenem Kaffee und der Möblierung einer Mr.-Minit-Filiale.

Daneben gebe es eigentlich nur noch diese alternativen Cafés mit abgeschliffenen Dielen, zuckerlosem Ökokuchen und Kellnerinnen in Ökosandalen mit Oberlippenbart. Er hatte die Hand seiner potenziellen Liebhaberin, die ihm bereits bis zum Aschenbecher entgegengekommen war, ergriffen und machte keine Anstalten, sie wieder loszulassen.

"Tja, bei uns haben die Leute eben keine Zeit fürs Kaffeehaus", sagte die Studentin und unternahm zaghafte Versuche, die Hand aus der Umklammerung des österreichischen Galans zu befreien.

"Schod drum", sagte der Galan.

"Vielleicht!", sagte die Studentin, legte den Kopf auf die Seite, wie sie es im Film gesehen hatte, und schob den Löffel mit der Sahne genüsslich zwischen ihre rot geschminkten Lippen.

"Darf ich mal!", sagte die Kellnerin und stellte ein flaches Stück Birnenrahmtorte - eine Spezialität des Hauses -, eine Canachecremetorte, eine Marzipan-Rum-Torte und einen Baumkuchen zwischen das Paar. Der Baumkuchen musste sein, weil nämlich der Bäcker Buchwald einst kaiserlicher Hoflieferant in Sachen Baumkuchen war. Und die Österreicher lieben den Kaiser bekanntlich mehr als die Deutschen.

Der Student stach mit der Gabel zum Test in die Spezialität. Sie ließ sich wunderbar leicht einführen. "Die Topfenfülle ist super. In der Regel ist das hier ja so eine Art Kaugummi! Auch der Boden ist goldrichtig. Jedenfalls zerfällt er nicht gleich beim ersten Pikser zu Staub!", sagte der Wiener. Wiener verstehen etwas von Mehlspeisen!

Stirnrunzelnd betrachtete er die vielen Mädchen in den Spitzenschürzen, die alle fünf Minuten mit neuen Torten aus der Backstube gelaufen kamen, während die Kommilitonin von einer alten Dame berichtete, die immer auf dem Sofa gesessen und jedem erzählt habe, dass der Sohn die Gardinen abhängen wolle, obwohl die doch erst zwanzig Jahre hängen würden. Aber solange sie lebe, so lange bleibe alles beim Alten. Und wenn gar keiner mehr in das zementgraue Café am Kanal käme.

Dann aber kam ein Mann von der Zeitung. Er besah sich das eingerahmte Dokument neben der Tür, das Meister Buchwald als kaiserlichen Baumkuchenlieferanten auszeichnete, sagte laut und deutlich: "Aha!" und schrieb am nächsten Tag in seiner Zeitung über die Entdeckung des Cafés Buchwald.

Seitdem standen am Wochenende Menschenschlangen vor dem alten Café. "Tja, so ist das!", endete die Kommilitonin ihre kleine Erzählung und lächelte, wie sie es im Film gesehen hatte.

"Wirklich super!", sagte der Mehlspeisenspezialist und schielte nach den Brüsten seiner potenziellen Liebhaberin, "wirklich super hier. Aber lass uns gehen jetzt."

HANS W. KORFMANN


Café Buchwald, Tiergarten, Bartningallee 29, geöffnet Mo.-Sa. 9-18 Uhr, So. 10-18 Uhr

taz - 2002
© Hans W. Korfmann

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