tellerrand
Freibad Plötzensee
Boulettenviertel
Die Kinder wissen es am besten: Nirgends ist der Hunger
so groß wie im Schwimmbad. Und nirgends schmecken Wurst und
Pommes so gut wie dort. Am besten schmecken sie im Freibad Plötzensee.
Sagen wenigstens die Plötzenseer.
Mit Recht. Denn die Restauration
auf der Dachterrasse der alten "Badeanstalt" mit Blick
auf die Rehberge, den See und die badenden, halb nackten oder ganz
nackten Berlinerinnen und Berliner lässt nichts zu wünschen
übrig. Es gibt Langnese, Coca-Cola, Schultheiss und zu den
Pommes jene Frage, die die Menschheit in zwei Hälften teilt:
Majo oder Ketchup?
In großen, weißen Kreidelettern auf schwarzer
Tafel präsentiert man stolz das Speiseangebot: Boulette mit
"Brötchen", Dampfwurst mit Curry, Kartoffelsalat,
Schnitzel paniert, Bratwurst und Wiener Würstchen. Die kleinen
Ziffern hinter den Würsten bedeuten: "Schwein, Phosphat,
Hühnereiweiß, zerkleinertes Schwein".
Kein Wunder, dass es zu Mittag kaum noch einen freien
Tisch gibt mit Blick auf die Badenden - auch wenn die am Morgen
der Tiefkühltruhe entnommene Boulette, also das zerkleinerte
Schwein, nur lauwarm ist und ihre gräuliche Leichenblässe
mit einer auffälligen Unmenge Ketchup kaschiert.
Zudem hat man die nette Boulette gleich zweimal gevierteilt
und in gabelgerechte Portionen zerschnitten, als handele es sich
um eine Currywurst und nicht um den meist bis zur Unkenntlichkeit
verkohlten berühmten Berliner Fleischkloß. Auch das hier
so genannte Brötchen hat mit der Berliner Schrippe wenig zu
tun, denn während die Schrippe immerhin für etwa einen
halben Tag eine gewisse Knusprigkeit an den Tag legt, fällt
das mit etwas Süßwasser angerührte Weißmehlgemisch
am Plötzensee bereits um 12 Uhr mittags zu Staub.
Doch was wiegt die adrette Boulette gegen diesen Anblick
gut gebräunter Weddinger Arbeitsloser, die zum ermäßigten
Preis von 2,50 Euro in den Teich springen dürfen? Oder gegen
die tätowierten Frauen mit ihrem Weddinger Slang oder gegen
die Hannelore- Kohl-Gedenkfrisuren in ihrem neuen, immer noch nicht
richtig sitzenden Bikinioberteil, das sie den ganzen Tag, insbesondere
aber beim Anstehen um Pommes oder Bier, beschäftigt? Oder gegen
diese sportlichen ausländischen Mitbürger und ihre blauen
oder roten Badehosen und ihr Handtuch über der Schulter? Oder
gegen diese Bademeistertypen mit ihren überm Bauch verschränkten
Armen und den dicht behaarten Brüsten? Oder gegen diese frauenlosen,
ewig hungrigen Sonnenbrillenträger mit den Bierbauchansätzen
oder diese wuseligen, Eis schleckenden, ständig blutenden Kinderschlangen
vor dem Fenster des Ausschanks?
Was könnte diese miese, kleine, fette Boulette
dieser wunderbaren Atmosphäre in einem deutschen Freibad anhaben?
Nichts! Sie gehört schlichtweg dazu! Und deshalb gibt es im
Freibad Plötzensee die besten Bouletten von janz Barlin!
HANS W. KORFMANN
Imbiss im Freibad Plötzensee, Nordufer
26, Wedding, Tel. 45 97 30 10
taz - 2002
© Hans W. Korfmann
zurück
|