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Das Glück der Taverne

Auf der nordgriechischen Insel Thassos gibt es noch ein paar Wirte, die dem Massentourismus trotzen

Das geht aber nicht!“ ruft Dieter. Sofort legt der Schwergewichtige das Brot zurück. „Da musst Du fragen!“, sagt Dieter, aber der stämmige Grieche versteht so wenig Deutsch wie Dieter Griechisch. Obwohl Dieter seit 25 Jahren hierher kommt. „Weil die Griechen auf Thassos zusammenhalten und nicht so viel Blödsinn erzählen wie auf andern Inseln.“

Nach der Maßregelung bekommt der Grieche doch ein Stückchen Brot für seinen Haken, und Dieter wirft die Angel wieder ins Hafenbecken. Aber es wird heute nichts. Der Rentner aus Hamburg mit der kleinen Eigentumswohnung im Hafenviertel hebt die Schultern. „Vielleicht hat der Mercedes da unten ja Fischfutter geladen.“

Die Inselbewohner sehen die vom Festland mit gemischten Gefühlen

Der Mercedes am Grund des kleinen Hafenbeckens von Limenaria ist der letzte. Die anderen 16 Autos sind bereits geborgen. Man hatte es den Urlaubern gesagt, dass ein Fluss kein Parkplatz ist, auch, wenn kein Wasser fließt. Aber sie hatten abgewunken, die Städter. Und plötzlich war der Sturm da. Der Fluss kam den Berg heruntergerauscht wie sonst im Winter und schwemmte siebzehn Autos ins Meer.

Auf Thassos, der nördlichsten der griechischen Inseln, kommen Stürme blitzartig, rasen über das Meer, treiben olivengroße Hagelkörner vor sich her und türmen die Wellen zu Mauern auf. Aber auch Feuerstürme hat die Insel erlebt, 1985 brannte Thassos lichterloh. Die Flammen fraßen die Hälfte des Waldes, der ihr einst diesen poetischen Beinamen verlieh: Thassos, die Smaragdgrüne.

Die Inselbewohner betrachten die Menschen vom Festland, die im Sommer scharenweise und im Winter gar nicht kommen, mit gemischten Gefühlen. Sie betrachten sie so professionell wie Fischer vorüberziehende Fischschwärme. Alle Thasiten waren Fischer, auch jene, die inzwischen aufs Festland gegangen sind, weil es da Arbeit gibt. Dabei nannte man die Insel einmal Athen des Nordens, so reich, so dicht besiedelt war sie. Jetzt leben in Limenaria, dem großen Ort im Süden, noch 2500 Menschen. Die meisten Auswanderer haben noch Häuser auf der Insel, die übrigen haben sich schon im Vorjahr Zimmer gesichert. Sommers sind Zimmer auf den Inseln Mangelware.

Obwohl die Zimmervermietungen in den siebziger Jahren, als wieder mal ein Sturm anrollte und die erste große Reisewelle an die Strände schwappte, stetig weiter zunahmen. Damals baute auch Dimitrios Milonas sein Hotel. „Ilios“ nannte er es, „Die Sonne“ - denn die Besucher kämen ja der Sonne wegen.

Das Hotel Ilios liegt oben an der Straße. Hinterm Haus pflanzt Dimitrios Milonas Tomaten; biologisch, darauf legen griechische Gärtner neuerdings Wert. „In den achtziger Jahren streuten sie noch derart viel Kunstdünger um ihre Pflänzchen, dass die Tomaten groß wurden wie Melonen. Die zeigten sie dann voller Stolz den Deutschen, und die glaubten, hier sei das Paradies.“

Dimitrios Milonas sitzt auf dem Dach seines Hotels und blickt aufs Meer, wo die Boote der Fischer eine Lichterkette bilden. Nachher, so gegen drei, wenn die vielen Lampen die Fische angelockt haben wie das Licht die Motten, kommt aus der Dunkelheit der große Trawler mit dem Netz und kreist sie ein. Milonas kennt das gut, er war selbst Fischer. Später fuhr er als Matrose über die Weltmeere und noch später war er bei Siemens. Er hat hart arbeiten müssen für sein Hotel, und deshalb vermietet er nicht an jeden. „Die andern hier arbeiten mit Reisegruppen. Ich nicht. Ich gehe doch nicht jahrelang in die Fabrik, und dann kommt so ein Arsch mit Krawatte und bietet mir 40 Prozent!“ Jeden Abend späht er von seinem Dach. Nicht wegen der Lichterkette, sondern weil er die Gäste beobachtet, wenn sie aus den Bars heimkommen. „Ich muss ja wissen, wer bei mir wohnt!“

Bei Avjerinos wohnt niemand mehr. Aber das waren „schöne Zeiten“, sagt der Wirt des letzten Kafenions von Limenaria. „Ich hatte sechs Zimmer, je ein Bett, zwei Stühle, ein Tisch. Und draußen die Toilette. Das Zimmer kostete 50 Drachmen und Abends haben alle zusammen gegessen, die Festlandgriechen und die paar Deutschen oder Engländer, die damals hier waren. Wir haben gefeiert bis zum Morgen, Feste, wie man sie nur auf den Inseln feiert.“

Die Deutschen schickten manchmal ein Foto, Ende der Sechziger hatte von den Thassiten nur der Inselfotograf einen Apparat. Auch Karten mit bunten Osterhasen kamen im Kafenion an, als man in Griechenland noch nie vom Osterhasen gehört hatte. Eine Polin schickte eine Landkarte ihrer Heimat. Avjerinos hängte sie neben die Griechenlandkarte, die damals in keinem Kafenion fehlte. Das letzte Kafenion von Limenaria trägt den Namen des Wirts: Avjerinos. Und der wiederum trägt den Namen eines Sterns, der größer und heller sein soll als die Sonne. Als das Fremdenverkehrsamt in den Achtzigern verlangte, dass, wer mehr als sechs Zimmer vermietet, diese mit Wasser, Toilette und Dusche auszustatten habe, beendete der Wirt das Kapitel Zimmervermietung. Seitdem ist das Kafenion nur noch Kafenion. „Auch das wird nicht ewig sein“, fürchtet Avjerinos.

Sein Sohn sitzt unter dem rostigen Ventilator und dem klebrigen Fliegenfänger und sieht sich vor Langeweile die tägliche Soapopera an. Er würde hier gern eine Café-Bar aufmachen, wie die Söhne anderer Väter. Dort treffen sich dann die Jungen aus Limenaria und auch die Mädchen, die Urlaub machen. Die Mädchen an den marmorweißen Stränden mit ihren bis ans Meer hinunterwandernden immergrünen Nadelbäumen! Was hätten sie im letzten Kafenion zu suchen, wo die Männer auch im Sommer noch in karierten, langärmeligen Hemden sitzen und türkischen Mokka trinken?

Die Mädchen kommen aus Griechenland, vom Balkan, aus Polen, aus Tschechien, aus
der Slowakei. Früher kamen sie aus Deutschland, Österreich, England. Sie kamen auf dem Landweg durch Jugoslawien, aber dann brach der Krieg aus. Damals ist alles ein bisschen günstiger geworden auf Thassos, und „jetzt zahlen die 200 Euro für eine Woche mit Flug und Bus und Frühstück, bringen sich Konserven mit und nuckeln in der Bar so lange an einer Cola, bis sie eingeladen werden“, sagt der Wirt.

Das Leben am Strand hat sich verändert. Keine Hippies mehr, keine Philhellenen, keine griechische Aristokratie mit großen Hüten, sondern die Schönen des Balkans und vielköpfige griechische Familien mit ihren umfangreichen Badeausrüstungen besiedeln Thassos Sandstreifen. Die Zeiten, als Hippies die entlegene, dicht von Wald umstandene Muschelsandsichel im Südosten „Paradise Beach“ nannten, sind vorüber. Vier Mal am Tag fährt der Bus auf dem einzigen und kreisrunden Asphaltstreifen einmal um die Insel und geradewegs zum Traumstrand. In Scharen laufen sie jetzt die steile Straße hinunter, die früher ein kleiner Pfad durch die Wildnis war. Es ist voll geworden im Paradies. Auf einem Felsen hat sich eine kleine Kolonie Nudisten halten können.

Seit auch die rebellierende griechische Jugend zum Burger greift, garnieren die Griechen selbst Souvlaki mit Senf und Ketchup. Vorbei sind die Zeiten, als es noch Tomaten und Tzatziki dazu gab und eine Souvlakibude eben Souvlakibude hieß. Heute heißen sie „Snack Bar Jummy“ oder „Pik Nik“. Im Restaurant mit„Traditional Food“ spielen zwei schlecht bezahlte Musiker „traditionelle Musik“: Ein Afrikaner begleitet auf der Gitarre den bulgarischen Bouzoukispieler, der drei, vier Stücke des griechischen Liedgutes beherrscht. Auch die Kellner heißen nicht mehr Nikos oder Janis, sie sprechen ein bisschen polnisch, ein bisschen tschechisch und ein bisschen griechisch.

1965, als die Fähre ihren Betrieb aufnahm, rechnete man nur mit den Urlaubern vom Festland. Auch die sechs Männer, die damals auf der Suche nach einem Grundstück für ihr Ferienhaus auftauchten, dachten nicht daran, dass sich das menschenleere Tal einmal in eine Hotelsiedlung verwandeln würde. Heute sprechen alle in der Gegend von der „Alten Pension“. Obwohl das erste Haus in der Bucht mit dem wunderbaren Sandstrand nie eine Pension war, sondern nur das Ferienhaus einiger Festlandgriechen.

Die Festländer mit der Sehnsucht nach der Insel wurden mehr, vierzig Zimmer mussten gebaut werden, zwei Stockwerke, eine große Terrasse für große Feste mit Blick aufs Meer und eine Marmortreppe am Eingang, breit genug für Staatsbesuche. Ein Kindergarten sollte gebaut, ein Geschäft eingerichtet werden, eigentlich sollte ein kleines Dorf entstehen. Am Ende blieb es bei der „Alten Pension“, die nie eine war, sondern nur eine Ansammlung von Eigentumswohnungen.

Es sind längst die Kinder und die Enkelkinder der Gründerväter, die jetzt auf der Terrasse feiern. Ein bisschen ist es so, wie es sich die alten Herren einst vorstellten, als sie ihre Idee vom Haus am Meer verwirklichten und die große Terrasse schufen - für Feste, die nicht vor dem Morgengrauen enden. Feste, wie sie einst im Kafenion von Avjerinos gefeiert wurden.

Anreise: Ganzjährig fliegen u. a. Air Berlin, Olympics und Aegaen Airlines nach Thessaloniki. Von dort fahren etwa stündlich bis 19 Uhr die Busse nach Kavala (10 Euro), von wo aus, im Sommer bis 19 Uhr, regelmäßig Fähren nach „Prino“ und „Limenas“ pendeln. Die Schiffreise dauert mit der Fähre 2 Stunden (4 Euro), mit dem Tragflächenboot die Hälfte, kostet dafür das Doppelte.
Weitere Informationen: Griechische Zentrale für Fremdenverkehr, Neue Mainzer Str. 22, 60311 Frankfurt, Telefon: 069/25 78 27-0, Fax: -29, E-Mail: ingo@gzf-eot.de, Internet: www.thassos-island.de

Süddeutsche - 2006
© Hans W. Korfmann

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