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Butterfahrt ins neue Heim

Genossenschaften sollen Berlinern den Erwerb von Wohneigentum erleichtern

Von Hans W. Korfmann

"Ein bisschen komisch ist das ja schon", sagt Serdar Celic." So wie im Faust: Sie kriegen die Geister, die sie riefen, nicht mehr los. Erst brauchten sie die Wasserträger, und jetzt würden sie sie am liebsten wieder heimschicken. Aber die sind hier längst Daheim und machen immer weiter! Fünfzig Jahre ist es her, da wurde das erste Abwerbeabkommen zwischen der Türkei und Deutschland unterzeichnet. Da kamen die ersten Türken nach Berlin. Inzwischen sind es über 400 000. Doch es gibt kein Wasser mehr zu tragen. Es gibt jetzt 4,7 Millionen Arbeitslose im gesegneten Land.

Serdar Selic ist einer jener türkischstämmigen Bewohner der Hauptstadt, die so europäisiert sind, dass sie sich kaum von ihren deutschen Mitbewohnern unterscheiden. Sie sind Auswanderer der dritten Generation, haben studiert, leben mit ihren Freundinnen in "wilder Ehe", lesen deutsche Zeitungen und gehen griechisch Essen. Sie sind die Vorzeigemigranten der Nation. Deshalb auch sitzt er jetzt zusammen mit seiner Frau in einem der Busse. Es wird nur eine Stadtteilrundfahrt werden, einmal kurz durch Friedrichshain-Kreuzberg. Der Himmel über Berlin ist blau, die Reiseveranstalter reichen den Gästen türkische Trauben und türkischen Honig. Alle sind guter Laune, denn der kleine Ausflug ist kostenlos. Es ist eigentlich so eine Art Butterfahrt, die sie hier inszeniert haben, die Firma "WorkArt + Bestgen": Sie möchten die türkischen Kreuzberger zu etwas überreden: Zum "genossenschaftlichen" Kauf eines Hauses.

Denn wo sollen sie hin, all jene türkischen Familien, die in den Siebzigern in die unkomfortablen Altbauten mit den qualmenden Öfen zogen, deren einst bröckelnde Fassaden inzwischen frisch verputzt strahlen, die modernisiert zu gewinnträchtigen Immobilien geworden sind. Einst standen die alten Häuser unter der schützenden Hand des Senats, die Mieten waren gesichert. Nun aber werden 23 Häuser der staatlichen Wohnungsbaugesellschaften in Friedrichshain-Kreuzberg verkauft. Andere werden folgen.

Immerhin wurde den Bewohnern der betroffenen Häuser das Erstkaufrecht zugesichert. Doch nicht immer sind die Bewohner finanzkräftig genug, um gleich ein ganzes Haus zu kaufen. Eine Alternative ist die Gründung oder der Anschluss an eine Genossenschaft. Eine Alternative, die auch für die ausländischen Einwohner praktikabel sei, wie die Reiseleiterin im Bus betont. "Wir werden drei genossenschaftliche Wohnprojekte besuchen, die durch den Verkauf landeseigener Grundstücke entstanden sind, damit Sie sehen, was alles möglich ist."

Beim Genossenschaftsmodell kaufen die Mieter keine Quadratmeter, sondern weitaus erschwinglichere Genossenschaftsanteile, die sie jederzeit auch wieder abgeben können. Die Genossenschaft ist der Käufer des Hauses und kümmert sich um die Finanzierung. Die Bewohner des Hauses zahlen eine festgelegte Miete an die Genossenschaft, wovon notwendige Renovierungen, von den Mietern gewünschte Veränderungen und der Kaufpreis des Hauses abbezahlt wird. Nach 10 bis 15 Jahren ist eine sinkende Miete zu erwarten, da das Haus schuldenfrei und renoviert ist. Darüber hinaus gibt es Genossenschaftsmodelle, die gleichzeitig den Kauf der Wohnungen durch die genossenschaftlichen Mieter zulassen.

"Mit dem Genossenschaftsmodell", so der zuständige Stadtbaurat Franz Schulz "könne ein wertvoller Beitrag zur Integration der Migrantinnen und Migranten in Berlin geleistet werden", und das Bundesministerium für Verkehr, Bau- und Wohnungswesen hat das Kreuzberger Modell in ein Forschungsprojekt einbezogen, das sich mit genossenschaftlichem Wohnen in Deutschland als "zukunftsweisender Alternative" zu gnadenloser Privatisierung einerseits und staatseigenen Immobilien andererseits befasst. Auch aus architektonischer Sicht haben die Projekte schon auf sich aufmerksam gemacht, und die Wohnungsgenossenschaft Fidicinstraße 18 eG wird im November dieses Jahres sogar mit dem "Deutschen Bauherrenpreis" für "Hohe Qualität - tragbare Kosten" ausgezeichnet.

Doch die ehemalige Mietergemeinschaft in der Fidicinstraße war finanzkräftiger als Herr Celic und seine Freundin. "Wie hoch werden die Mieten sein?" ist die erste Frage der kleinen Reisegruppe, als sie auf der Dachterrasse eines Genossenschaftshauses stehen und die Solaranlage und die schönen Balkone bewundern. "Nicht alle Häuser sind so schick geworden", räumt Klaus Sonderfeld von der "Bewohnergenossenschaft FriedrichsHeim" ein, "aber es zeigt auch deutlich, was möglich ist, wenn sich die Mieter zusammentun".

"Wozu macht der das eigentlich?", fragt im Flüsterton eine blonde, schlanke Frau mit einer großen Sonnenbrille. Mit ihrer Freundin spricht sie einen Satz auf Türkisch und den nächsten wieder auf Deutsch. Sie hat einen gut gehenden Frisiersalon im Erdgeschoß eines der zum Verkauf stehenden Häuser. Zuerst träumten die Bewohner vom gemeinsamen Kauf, doch dann fehlte ihnen das Geld. Jetzt wird das Genossenschaftsmodell diskutiert. Die Friseurin ist dafür. Obwohl sie noch immer skeptisch ist. "Irgendwas müssen die doch daran verdienen, die machen das doch nicht alles nur für uns!"

Herr Sonderfeld erklärt, warum die Genossenschaften Interesse am Wachsen haben. "Wir dürfen zwar keinen Gewinn erwirtschaften, aber je mehr Häuser wir haben, um so mehr bezahlte Arbeitsplätz können wir schaffen." Denn während in kleinen Genossenschaften wie in der Fidicinstraße alle Arbeiten ehrenamtlich sind, nimmt die Genossenschaft ab einer bestimmten Größenordnung die Form eines kleinen Unternehmens an. Inzwischen besitzt die Genossenschaft FriedrichsHeim 13 Häuser, um die sich 4 Angestellte und 8 Pauschalisten kümmern.

Noch größer ist das "Kapital" der "Wohnungsbaugenossenschaft am Ostseeplatz eG". Die Bewohner haben dort gleich das komplette Viertel mit 214 Wohneinheiten gekauft, 150 Balkone angebaut und die kleinen Appartements zu familiengerechten Wohnungen zusammengelegt. Im großen Garten sitzen jetzt keine einsamen Rentner mehr, sondern spielen Kinder.

Sämtliche Projekte, so Barbara Rolfes-Poneß von den Projektleitern WorkArt + Bestgen, "knüpfen unmittelbar an ein Privatisierungsvorhaben von Wohnbeständen des Landes Berlin an." Sie sind quasi eine letzte und "einmalige Chance" für die Bewohner, das Schicksal des von ihnen bewohnten Hauses, und damit auch ein Stück eigenes Schicksal, in die Hand zu nehmen. Sie können, bei garantiert niedriger Miete, in ihren Häusern wohnen bleiben, können gemeinschaftlich über die Gestaltung dieses Hauses entscheiden, können Eigentümer werden ohne die sonst lauernden Gefahren von Finanzierungsengpässen

Das gilt auch für die Adalbertstraße Nummer 80 und 81, zwei Häuser, in denen ein Großteil der Bewohner ursprünglich aus der Türkei stammt. So wie Serdar Selic und seine Freundin. Und wie der alte Herr Sentürk, der im Hof Tomaten und Blumen pflanzt. Die meisten leben schon lange in der Adalbertstraße, ein Vierteljahrhundert, manche länger. Jetzt stehen sie vor ihren Häusern und sehen sie mit neuen Augen. Die Idee, dass das Haus einmal ihnen gehören könnte gefällt ihnen. Denn ganz unabhängig davon, wie lange sie schon hier sind: so richtig dazu gehören auch die Integrierten noch immer nicht. Doch wenn sie ein Haus hier hätten - vielleicht würden sie dann ein bisschen mehr dazugehören.

Dort hinten, unter den Bäumen, könnte der Spielplatz sein. Ein Spielplatz im eigenen Hof, "man könnte vom Balkon aus den Kindern zusehen", sagt die junge Frau und greift nach der Hand ihres Freundes.

Frankfurter Rundschau - 2005
© Hans W. Korfmann

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