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Herr D. bei den Trabern

Seitenblick

Von Hans W. Korfmann

"Na!", rief die Liebich, die Ewiggrüne, ihm wieder mal von weitem zu, "Haste auch brav gewählt letzte Woche?" Wäre Herr D. ein einfacher Bürger gewesen und nicht Beamter - also quasi ein verstaatlichter Arbeitnehmer - dann hätte er schon seit längerem die Wahlurne ebenso gescheut wie die Urne vom Friedhof. Aber da jeder im gesamten Auswärtigen Amt seiner bürgerlichen Pflicht nachging, war auch Herr D. immer brav zur Wahl gegangen.

Aber am vergangenen Wahlsonntag war das Wetter so schön gewesen. Herr D. hatte sich mit seiner Wahlberechtigung in die S-Bahn gesetzt und war hinausgefahren aus der Stadt. Doch auch im fernen Osten, hingen überall Politiker auf Plakaten herum: zwei SPDlerinnen Arm in Arm, als seien sie ein Herz und eine Seele, ein weißer und ein schwarzer Grüner mit Rastalocken demonstrierten harmonisches Multikulti, und der Typ von der FDP grinste, als wolle er sich im Kaufhaus in der Süßwarenabteilung bewerben. So schlecht waren die Wahlplakate noch nie! Herr D. überlegte, ob sich die Parteien vielleicht auf eine gemeinsame und billige Werbeagentur geeinigt hatten.

Viel Interesse jedenfalls schienen die Gesichter auch in Karlshorst nicht zu wecken. Vor dem Wahllokal in einer Schule spielten Kinder Fußball, Wahlberechtigte sah Herr D. nicht. Auch im Biergarten schlug kaum jemand den Weg zum Wahllokal im Hinterzimmer ein. Sogar am Rand der menschenleeren Trabrennbahn mit ihren armeegrünen, wenn auch angerosteten Lautsprechern, sah Herr D. noch Wahlplakate. Nur im Restaurant neben der Tribüne mit den gewaltigen Portionen Gulasch und Chili war vom Wahlkampf nichts mehr zu sehen.

Dabei war es schon Nachmittag, der Kampf ging in die entscheidende Phase, die Berichterstattung hatte längst begonnen, und im Lokal waren mindestens zehn Bildschirme eingeschaltet. Doch auf denen war kein einziger Politiker zu sehen. Dort rannten Pferde. Und vor den Bildschirmen standen aufgeregte junge Männer in billigen Turnschuhen und billigen T-Shirts mit voll geschriebenen Zetteln in der Hand und hofften auf ein paar Euro. Sie peitschten die Hoffnungsträger an, sie stampften mit den Füßen auf den Boden, sie schrieen: "Auf, Phillip, lauf Phillip, jetzt arbeite, arbeite..."

"Arbeiten!", dachte Herr. Aber die Pferde hörten die jungen Männer nicht. Die Politiker hörten sie auch nicht. "Arbeiten!" Daran dachte er auch, als eine Woche später die Liebich kam. Aber er sagte nur: "Ne, ich war zu spät, die Wahllokale hatten schon geschlossen!"

Frankfurter Rundschau - 2006
© Hans W. Korfmann

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