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Das Lächeln der Piloten

Herr D. guckt Sport und zieht Vergleiche

Von Hans W. Korfmann
Berlin Feuilleton

Im Grunde interessierte sich Herr D. nicht für Sport. Nicht fürs Schwimmen, nicht fürs Skifahren, nicht für Fußball und nicht für den Dreisprung. Aber der Sport verfolgte ihn auf Schritt und Tritt. Herr D. ging in seine Akademiker-Stammkneipe und stieß plötzlich auf betrunkene und randalierende Herthafans nach einem Sieg über Bayern. Er kam an Sporthallen vorüber, aus denen bis spät in die Nacht hinein beängstigendes Kampfgeschrei drang, und im Park trainierten Heerscharen von Marathonläufern. Wenn er entmutigt von seinen urbanen Spaziergängen abends den Fernseher einschaltete, dann sah er Rudi Völler, der versuchte, dem Kneipier lässig die Hand auf die Schulter zu legen und möglichst locker und kumpelhaft diesen einen Satz zu sprechen: "Und du gehörst zu uns!"

Aber Rudi schaffte es nicht, locker zu bleiben. Der deutsche Nationaltrainer gehörte, ebenso wie sein Vorgänger Vogts, zu den Ungeschicktesten unter den hoch dotierten Laiendarstellern im allabendlichen Kurzfilmwettbewerb der Privatsender. Zwar waren auch Steffi oder Boris nie oscarpreisverdächtig gewesen, doch immerhin glaubte die halbe Nation, dass es sogar Becker bis ins Internet geschafft hatte. Ein fataler Irrtum, die ganze Szene war gestellt.

Der rasende Reporter

Auch Michael Schumacher, der eigentlich längst ein Profi sein müsste und dem beim 14-tägigen Pflichtlauschen der italienischen Nationalhymne dann doch nie etwas anderes einfiel als das immer gleiche Gesicht und die zackigen Armbewegungen eines preußischen Kapellmeisters, war kein geborener Filmstar. Am besten gefiel der deutsche Weltmeister, wenn er gelassen an seinem Fläschchen nuckelte, während der rasende Reporter Ebel, der sämtliche Prominente am Streckenrand wie eine verängstigte Schafherde vor sich hertrieb, krampfhaft nach neuen Fragen suchte. Jedes Mal vergeblich. Jedes Mal wieder fragte er den Weltmeister nach der Rolle der Reifen und wer wohl in der ersten Kurve - der einzigen, in der sich wirklich noch etwas abspielte während der zweistündigen Renndistanz - die Nase vorn haben würde. Am Ende des Kurzinterviews mit "Michael" fiel Kai Ebel nichts anderes mehr ein, als auch dieses Mal vergeblich nach der streng geheimen Strategie der rasenden Automobilkonzernvertreter zu fragen. Während dieser gesamten Szene nuckelte Schumacher genüsslich am Fläschchen, hob ab und zu die Schultern und grinste. Das, fand Herr D., war eine Rolle, die dem Weltmeister wie auf den Leib geschnitten war, und einer der spannendsten Momente der gesamten dreitägigen Berichterstattung. So spannend wie das Dinner for One an jedem Silvesterabend.

" Weshalb sehen Sie sich das eigentlich an? " fragte nicht ganz zu Unrecht die Liebich am Montagmorgen, "dieses stumpfsinnige Herumfahren im Kreis? Ich meine, wenn zwanzig Leute einem Ball hinterherrennen, ist das zwar auch nicht gerade der Höhepunkt der menschlichen Evolution, aber immerhin: Sie kämpfen um einen Ball." Herr D. fand, dass dieses ewige Genörgel über im Kreis fahrende Autofahrer auch nicht gerade der letzte Schrei der Menschheit sei, und sagte: "Wenn Ihnen das Kreisen nicht gefällt, warum regen Sie sich dann nicht auch über die Langstreckenläufer oder die Eisschnellläufer auf. In den Sportstadien geht es eben im Kreis herum, seit zigtausend Jahren, schon in Olympia, im Kolosseum... Und plötzlich kommen Sie daher und behaupten, das wäre alles Schwachsinn."

Die Liebich war in unguter Laune, so wie meistens am Montag: "Ja, aber die bewegen sich wenigstens noch. Dieser Schumacher bewegt doch nur noch den Fuß und die Arme. Jeder Rollstuhlfahrer ist sportlicher."- "Aber langsamer." - "Na und", rief die Kollegin, "haben Sie jemals eine Frau so rasen sehen? - Nein, ich verstehe nicht, wieso Sie sich das ansehen", beendete die Kollegin das Gespräch. Herr D. hatte es schon auf den Lippen: "Wegen Kai Ebel." Denn was hätte das für einen Sinn gehabt, wenn er ihr erzählte, wie er vor dreißig Jahren mit seinem Vater über die Absperrung des Boxenbereichs auf dem Nürburgring geklettert war, wie Jochen Rindt, Jacky Stewart, Bruce McLaren dem kleinen Jungen mit der großen Kamera zugelächelt, ihm zugewinkt hatten. Wie er seine Nase in diese stinkenden Motoren hatte stecken dürfen, wie er den Benzingestank quasi mit der Muttermilch aufgenommen hatte. Was hätte die Liebich davon verstanden, an einem Montag wie diesem.

Und hätte das sein Leben verändert? Nein! Auch zwei Wochen später saß Herr D. wieder vor dem Fernseher, sah Kai Ebel und den Mann mit dem halben Ohr und dem Käppi auf dem verbrannten Schädel. Herr D. sah zu, wie die Sicherheitskräfte einen Mann festnahmen, der auch über den Zaun geklettert war. Er sah zu, wie ihm keiner zulächelte, wie sie ihn zu Boden warfen, als handele es sich um einen terroristischen Kamikazepiloten, der New York anfliegt. Und wie dann der Werbeblock kam, mit Völler, Mercedes und BMW. Der Mann mit dem halben Ohr sah aus, als mache ihm das alles allmählich keinen Spaß mehr. Herr D. verstand ihn gut: Irgendwie war früher alles spannender. Zumindest beim Sport. Aber man gab eben die Hoffnung nie auf.

Frankfurter Rundschau - 2004
© Hans W. Korfmann

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