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Unter Frauen

Von Hans W. Korfmann

Herr D. geriet auf einen Flohmarkt. Es war jedoch kein Flohmarkt mit altem Plunder, teuren Antiquitäten und billigen Imitaten. Es war auch kein Heimwerkerflohmarkt voller Bohrmaschinen und Schraubstöcken, kleinsten Fahrrad-Einzelteilen und größeren Auto-Teilen - also einer dieser Flohmärkte, ohne die jedenfalls die gewaltige Schwarzarbeiterkolonne der Hauptstadt kaum derart produktiv sein könnte. Nein, Herr D. war auf einen Markt für jene kleinen Flöhe geraten, die immer häufiger von allein stehenden Frauen großgezogen wurden, die ohne diese Flohmärkte mit Kleidern und Spielzeug womöglich eine weniger bunte Kindheit hätten. Herr D. hatte keine Kinder, doch die Spielzeuglokomotiven zogen ihn magisch an. Und schon schlängelte sich Herr D. zwischen handelnden Müttern hindurch, streichelte hier und da einen Kinderkopf und besah sich die Loks.

Anfangs registrierte er die kleinen Stöße und Puffer nicht, auf Flohmärkten durfte man keine Berührungsängste haben. Doch als er die Kasperlefigur mit ihrer langen Nase sah und sagte: "Genau so eine hatte ich auch einmal!", und als die Frau hinter dem Tisch antwortete: "Damals war deiner auch nur so klein!" und zwischen zwei Fingern die Länge einer Stecknadel andeutete, da verstand er: Ein allein stehender Mann hatte auf einem Kinderflohmarkt nichts zu suchen. Augenblicklich fühlte sich Herr D. wie ein Kinderschänder, ein pädophiler Mörder! In diesem Augenblick legte jemand die Hand auf seine Schulter: "Nehmen Sie's nicht persönlich", sagte ein Besucher gleich auffälligen Geschlechtes, "die sind hier alle so. Sind Sie auch arbeitslos?"

"Nicht direkt!", sagte Herr D. und ging mit dem Mann ein Stück. "Verstehe!", sagte der, "Schwarzarbeit. Mach' ich auch. Aber ich habe eine Idee. Ich brauche nur noch jemanden, der mitmacht."

"Hm…" sagte Herr D.

"Wir müssen doch jetzt zusammenhalten! Meine Frau und ich zum Beispiel: Wir sind seit dreißig Jahren verheiratet, glücklich, wenn ich so sagen darf. Meine Frau hat das Kochen noch von ihrer Mutter gelernt. Eine perfekte Hausfrau, Putzen, Waschen, Bügeln, alles vom Feinsten. So einen Haushalt zu führen, wissen Sie, das ist keine leichte Arbeit. Das muss man richtig lernen. Und wissen Sie eigentlich, wie viele Ehen in der Küche scheitern? Am Geschirrspülen, Saugen, Kochen...? Aber wo sollen das die Mädchen heute lernen, frag ich Sie, wo doch die Mütter alle arbeiten gehen?"

"Hm...", sagte Herr D. "Weiß nicht."

"Eben! Und jetzt meine Idee. Wir bieten Kurse an: In zehn Tagen die perfekte Hausfrau. Was man einst bei Muttern lernte. Was denken Sie?"

"Hm...", sagte Herr D. und sah auf seine Uhr. "Gar nicht schlecht! Aber ich muss jetzt fort." Der andere war enttäuscht. Herr D. hatte das Gefühl, dass die glorreiche Idee nicht zum ersten Mal auf eine Mauer des Schweigens geprallt war. Er empfand er so etwas wie Mitleid und Schuldbewusstsein, doch was hätte er tun sollen, der Herr D., ein Beamter auf Lebenszeit...

Frankfurter Rundschau - 2005
© Hans W. Korfmann

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