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Bauernhaus im Kleinformat

Mehr als zehn Jahre lebt Bodo Gottschalk schon in seinem Bauwagen, den er mit einem alten Lanz Bulldog quer durch Deutschland zieht. Sechstausend Kilometer hat er letztes Jahr zurückgelegt.
"Man braucht nicht viel zum Leben!" sagt Bodo Gottschalk. Anders als sein großer Namensvetter Thomas, der derzeit eine 300-Quadratmeter-Villa in Los Angeles bewohnt, begnügt sich Bodo mit elf Quadratmeter Lebensraum.

Alles, was er zum Leben braucht, ist in exakt fünf mal zweieinhalb Metern untergebracht: Küche, Wohn-zimmer, Schlafzimmer und Werkstatt in einem. Und wenn er den grünen Kachelofen ­ ein wahres Wunderwerk der Ofensetzerkunst, aus dem sich das Rohr wie im Bilderbuch durch den Raum windet ­ mit ein paar Buchenholzscheiten einheizt und einen Topf Wasser darauf stellt, dann kann er den mit Holzpanälen verkleideten Raum sogar in eine Sauna verwandeln.

Aber das große Thermometer an der Wand bequemt sich selten in solch schwindelerregende Höhen. Morgens, nach kalten Winternächten, klettert es kaum über die Nullgradgrenze. Manchmal gefror das Wasser in dem Plastikkanister, und Bodo mußte ordentlich schütteln, um ihm ein paar Schluck Lebenselexier für seinen Kaffee abzutrotzen.

Doch der Ofen hat den kleinen Raum schnell aufgeheizt. Auch die zwei Flammen des Gaskochers geben etwas Wärme ab. Der Holzlöffel, der daneben am Regal hängt, das Küchenbord mit den Gewürzen, sogar das Stück Linoleum hinter der Kochstelle vermitteln häusliche Behaglichkeit. Darüber schwingt die Wäscheleine mit fünf Klammern und einem Geschirrtuch, vor den Fenstern hängen Gardinen. Den Tisch ziert eine rotweißkarierte Decke, darüber baumelt eine altmodische Schirmlampe. Auch für einen Miniaturfernseher mit 15-Zentimeter-Bildröhre und für ein Radio hat sich auf der kleinen Holztruhe Platz gefunden. Ein künstlicher Adventsstrauch an der Wand mit Schneestaub und goldenen Schleifen erinnert noch immer an Weihnachten.

Alles ist wie in der guten Stube, ein Bauernhaus im Kleinformat. Wäre da nicht der Lederköcher mit den Pfeilen und der Bogen, der sich darüber spannt. Auch die Bouzouki in der Ecke, die Aquarelle an den Wänden, der Postkartenständer mit Zeichnungen alter Traktoren und die Staffelei in der Ecke machen den Besucher neugierig.

Bodo Gottschalk, Jahrgang 1955, geboren in Liebenwalde, ist Künstler. Seit zehn Jahren zieht sein alter Lanz Bulldog, ein Traktor aus dem Jahre 1957 mit einem Schornstein anstelle des Auspuffs, den fünf Meter langen Bauwagen durch die Lande. Sechstausend Kilometer hat er letztes Jahr zurückgelegt, bei einer Spitzengeschwindigkeit von 20 Stundenkilometern. Er durchkreuzt Deutschland von Nord nach Süd, an der Ostsee hat man ihn gesehen und in den bayerischen Alpen, selbst die Wolkenkratzer Frankfurts haben verwundert auf das sonderliche Gespann hinabgeschaut und die Banker in ihren Mercedes amüsiert den Kopf geschüttelt.

Wo immer Mähdrescher und Traktoren ausgestellt werden, kennt man ihn. Auf den Treffen der Landmaschinenfetischisten mit ihren antiken Gerätschaften ist Bodo Gottschalk ein gerngesehener Gast, die Bürgermeister laden ihn zu Tisch und rufen ihn auf die Bretterbühne im Bierzelt. Er entwirft Plakate für das nächste Jahr und Postkarten fürs Fremdenverkehrsbüro. Die Liebhaber der Traktoren bestellen nicht selten das Porträt ihres pflügenden Schmuckstücks von Künstlerhand. Sogar ein Verlag ist an ihn herangetreten und wird demnächst die Geschichte des Traktors Heinrich, Text und Bild von Bodo Gottschalk, publizieren. Zwischen diesen Festen schlägt der Maler sein Lager am Wegesrand auf, holt die Staffelei heraus und widmet sich der Natur.

Wer den fahrenden Künstler sieht, beneidet ihn. "Manche wollen gleich mitkommen", lacht Bodo. Vor einigen Jahren, erinnert er sich, da waren sie zu viert. Da hatte er einen zweiten Traktor angeschafft, darauf saß seine Freundin und zog das Kinderzimmer mit ihren Mädchen hinter sich her. Bis nach Portugal wollte der Konvoi, aber die Steigungen in den Pyrenäen erwiesen sich als unbezwingbar, deshalb mußten sie umkehren.

Im Sommer ist das Leben ein Fest; Bodo frühstückt draußen vor dem Bauwagen, der sein Heim ist, die Solarzelle läßt das Radio ertönen, und der Plastiksack in der Sonne auf dem Dach hat das Wasser so aufgewärmt, daß er am Abend eine heiße Dusche nehmen kann.

Im Winter aber kehrt Bodo heim nach Oranienburg auf den Hof seines Vaters, stellt seinen Wagen vor dem Haus ab und besucht die Geschwister, die längst Kinder haben und eine Frau und ein Haus. Er erzählt von seinen Reisen und zeigt seine Bilder. Eine Stromschnur zum Haus des Vaters speist dann das Radio, der winzige Fernseher sendet zwei Programme. Dann sehnt Bodo den Frühling herbei, und manchmal wird ihm die Zeit lang.

An einen festen Wohnsitz denkt er dennoch nicht. "Aber vielleicht werde ich eines Tages irgendwo vorbeikommen und sagen: Das ist es, hier zieh ich ein! ­ Und meinen Bauwagen endgültig ausspannen."

Berliner Zeitung - 1997
© Hans W. Korfmann

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