Zwischen Literatur & Journalismus Die Menschen StadtReportagen Reisereportagen Kolumnen, Glossen & Buchbesprechungen Hans W. Korfmann

 

Skizzen vom Neuland

Bedeutender noch als James Cooks Entdeckungen waren die Karten, die er unterwegs anfertigte. Denn der unerschrockene Abenteurer war zugleich ein gewissenhafter Landvermesser.

Textauszug

James Cook gilt als der letzte der großen Entdecker auf See. Nach ihm blieb für die Menschheit nur noch das Eis der Pole, die Tiefe der Meere und die Weite des Himmels. Paradoxerweise hat Cook nie entdeckt, was er hatte entdecken sollen. Er war aufgebrochen, einen Kontinent im Süden zu finden, und scheiterte sieben Seemeilen vor der Antarktis am Eis. Und auch im hohen Norden, wo Cook eine Durchfahrt vom Pazifischen zum Atlantischen Ozean suchte, wurde er nicht fündig, weil Eis ihm den Weg versperrte.

Dennoch gilt er als der Entdecker der Nordwestpassage, denn Cook war bis in die heutige Beringsee vorgestoßen. Und auch mit der Legende vom Südkontinent ist sein Name eng verbunden. Cook bewies, dass er nicht existiert. Gewissermaßen „nebenbei" entdeckte er Inseln und Mikrokosmen wie Neukaledonien und die Neuen Hebriden, Norfolk oder die Weihnachtsinsel, die Ostküste Australiens oder Hawaii.

Doch der große Cook - 183 Zentimeter lang, er kam auch an Land nie ganz aus der gebückten Haltung heraus, zu der ihn die niedrige Decke seiner Kajüte zwang - ist mehr als nur ein Entdecker gewesen. Immer wieder beugte er sich über den Schreibtisch, um Karten jener Länder anzufertigen, die in Europa zuvor noch kein Mensch gesehen hatte. Darüber hinaus gab er bereits bekannten Ländern endlich einen Platz im Koordinatensystem der Längen und Breiten.

Cook hat viel Zeit unter Deck zugebracht, und er war ein Eigenbrötler, über den die Mitreisenden spotteten, sie hätten ihn auf der dreijährigen Reise ein einziges Mal lachen hören, und wenn er bei Tisch einmal ein Wort gesprochen habe, so hätte sich die Nachricht von der Redseligkeit des Kapitäns wie ein Lauffeuer auf dem Schiff herumgesprochen.

So entsteht neben dem bekannten Helden das Bild eines pflichtbewussten Dieners der Krone. Eines peniblen Briten, der, wenn es um Breiten- oder Längengrade ging, auf die Sekunde genau sein wollte. Aber auch das Bild des ungebildeten Arbeitersohns, eines späteren Bootsjungen auf einem Kohlenkutter, der jahrelang die ungemütliche Nordseeküste auf und ab fuhr, der aber weiter wollte. Der von mehr träumte. Den der Ehrgeiz trieb. Ohne diesen Ehrgeiz hätte er das größte aller Meere mit seinen zehntausend Inseln nicht so emsig durchpflügen können. 117 Tage war er einmal unterwegs, „während welcher Zeit wir 3660 Leagues (fast 20000 Kilometer, die Red.) zurückgelegt hatten, ohne einmal Land zu sehen".

Der Ehrgeiz war es wohl auch, der den jungen Seemann den Stift zur Hand nehmen und gewissenhafte Skizzen der Küsten anfertigen ließ. Cook erkannte und beklagte noch Jahre später, dass sich von den Seefahrern kaum einer auf die Kartografie verstand. Deshalb war Cook den Offizieren der „Pembroke" aufgefallen, und deshalb wählte man ihn aus, um die Vermessung des Sankt-Lorenz-Stromes vorzunehmen, über den man Québec einnehmen wollte. Unter dem ständigen Beschuss der Franzosen lotete Cook Untiefen aus, setzte Bojen und skizzierte den Lauf einer Wasserstraße, die bis heute als eine der schwierigsten der Welt gilt.

Die Engländer nahmen Québec ein, und drei Jahre später schrieb einer der Kapitäne an die Admiralität in London: „Aus diesem Anlass nehme ich mir die Freiheit, Ihre Lordschaft darüber zu informieren, dass ich nach meiner Kenntnis von Mr. Cooks Begabung und Befähigung diesen als hervorragend geeignet für die von ihm ausgeführte Aufgabe und größere Unternehmungen gleicher Art ansehe." Dass aber diese größeren Unternehmungen einmal drei Weltumsegelungen sein würden, die den Europäern ein erstes Bild der Südsee lieferten, damit rechnete wohl auch dieser Kapitän nicht.

Denn noch war James Cook ein ehrgeiziger Draufgänger. „Die Unerschrockenheit", schrieb einer seiner Seemänner ins Tagebuch, „war sein Hauptcharakter. Auf den unbekannten Küsten von Amerika lief er bei den neblichten Nächten mit vollen Segeln, schlief dabei ruhig; und öfters, im Gegenteil, wenn niemand Gefahr vermutete, kam er auf das Verdeck und änderte den Lauf des Schiffes, weil Land nahe war, und so, dass jedermann glaubte, er habe besondere, geheime Zeichen, aus denen er die Gefahr absehen könne." Doch eines Tages - sie lagen noch immer vor Neufundland - beobachtete der begnadete Navigator einen Mann, der einen Tisch von Bord trug, umständlich nach einem Platz suchte und den Tisch dann eine halbe Stunde lang in alle möglichen Richtungen wendete und drehte, bis er mit dessen Position einigermaßen zufrieden war.

Dieser Mann war der königliche Landvermesser Samuel Holland, ein Gelehrter, zu dem Cook, der Ungelehrte, aufsehen musste. Er endlich machte aus dem wagemutigen Navigator den gewissenhaften Kartografen. Innerhalb vieler Monate vor der Küste Neufundlands lernte der strebsame Schüler von seinem Lehrer eine Technik, die er auf seinen späteren Reisen immer wieder anwenden sollte, wenn es darum ging, das Bild einer Küstenlinie auf Karten zu übertragen, und zwar auch dann, wenn er keinen festen Boden, sondern schwankende Planken unter den Füßen seines Tisches hatte: die Triangulation.

Wollte man an Land die Entfernung zu einer weit entfernten Bergkuppe messen, brauchte man zwei Standorte, von denen man das Ziel anpeilen konnte. Anhand der Entfernung zwischen diesen beiden „Basispunkten" und den gemessenen Winkeln zur Kuppe ließen sich dann die fehlenden Strecken berechnen. Vom Schiff aus verfuhr Cook später in gleicher Weise, wenn er die Entfernung der Küste zum so genannten Schiffsort messen wollte. Allerdings musste dazu das Schiff eine gewisse Strecke auf See zurücklegen und die Distanz dieser Strecke mittels Zeit und Geschwindigkeit errechnet werden. Letzter Schritt: das vermessene Dreieck mittels astronomischer Berechnungen im bestehenden Koordinatensystem einordnen.

Die Karten, die Cook mit dieser Technik vom Sankt-Lorenz-Strom und von Kanadas Ostküste anfertigte, waren für die Briten jenseits des Atlantiks die ersten Bilder vom Neuland. In London druckte der Kupferstecher, „königliche Geograf" und Verleger Thomas Jeffery eine Karte, die als Cooks erste bedeutende in die Geschichte eingegangen ist, auch wenn sie noch die Namen zweier Autoren trägt: „The Exact Chard of the river St Lawrence publ. by Jefferys", gezeichnet von Cook und Holland.

An der Seite von Michael Lane verfeinerte Cook die Technik und wurde zum „Master Surveyor", zum Spezialisten für Seevermessungen. Seine Karten waren so sauber gezeichnet und so perfekt berechnet, dass sie bis in die dreißiger Jahre des 19. Jahrhunderts auf keinem europäischen Schiff im Pazifik fehlten und später in die berühmte Sammlung des „North America Pilot" aufgenommen wurden.

Cook blieb Zeit seines Lebens den Verlegern Jeffery sowie Mount & Page treu. Sie vermarkteten seine Karten in großem Stil, und in anderen europäischen Ländern wurden sie sogar abgekupfert. Auch die Reisetagebücher Cooks wurden (wegen ihrer mangelhaften „literarischen Qualität") journalistisch aufbereitet und zu Bestsellern. Die Neugier der Menschen auf die letzten weißen Flecken der Weltkarte war groß. James Cook selbst hatte für die publizistische Verwertung wenig Verständnis und beschimpfte John Hawkesworth, den Verfasser des Reisejournals seiner ersten Weltreise, so sehr, dass dieser dem Opium verfiel und sich zu Tode grämte.

1769, in dem Jahr, in dem Jeffery in London mit „A Collection of Chards of the Coasts of Newfoundland and Labradore (Drawn from Original Surveys taken by James Cook and Michael Lane)" den ersten kompletten Kartensatz Cooks herausgibt, sticht dieser, ausgerüstet mit den weitaus weniger komfortablen Karten und Risszeichnungen des Südseefahrers Kapitän Wallis, in See. Er bringt Astronomen nach Tahiti, die dort ein seltenes Schauspiel am Himmel beobachten sollen: die Venuspassage. Mit der Messung des Transits der Venus durch die Sonne und etwas Geometrie soll der Abstand der Erde zur Sonne ermittelt werden. Cook ist pünktlich, eine Beobachtungsstation wird eingerichtet, der Kapitän bestimmt mittels astronomischer Beobachtungen die genaue Lage der Insel und verbringt die fünf Wochen bis zur Weiterreise mit seiner Lieblingsbeschäftigung. Er fertigt eine erste Karte von „King George's Island Otaheite" - heute kurz: Tahiti - an.

Anschließend entdeckt und verzeichnet er die vielen nahen Nachbarinseln und nennt sie ihrer offensichtlichen Geselligkeit wegen „Gesellschaftsinseln". Dann steuert er die „Endeavour" nach Südwesten, bis er im Januar „etwa in der Breite von 35 Grad, 45 Minuten auf hohes Land dicht an der See" stößt. „Südlich davon ist es mäßig hoch und hat ein höchst trostloses und unwirtliches Aussehen", doch dann glaubt auch er, tatsächlich den sagenhaften Südkontinent gefunden zu haben, weil „die Gebirge im Inneren und die Lotungen längs der Küste" andeuteten, „dass dies Land ausgedehnter ist als irgendeins, von dem sie sagten, dass es im S. läge". Im März allerdings erreicht er das Südende Neuseelands und notiert gelassen: „Was einen südlichen Kontinent angeht, so glaube ich nicht an einen solchen, es sei denn in sehr hohen Breiten."

Hans W. Korfmann, Jahrgang 1956, lebt in Berlin. Er schreibt unter anderem für die „Zeit" und die „Frankfurter Allgemeine" und ist Herausgeber der „Kreuzberger Chronik - Geschichte(n) aus einem Stadtteil".

Mare, Nr. 55, 2006
© Hans W. Korfmann

zurück