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foto: © Michael Hughes   Zäh und unaufhaltsam bahnt sich der spanische Ebro seinen Weg von den Picos de Europa zum Mittelmeer. Wer ihn von der Quelle bis zur Mündung begleitet, dem erzählt er Geschichten. Von reichen Römern und armen Bauern, von idyllischen Abenden und blutigen Kriegstagen – und immer wieder von der Ausbeutung durch den Menschen.

Der geschundene Fluss

Es war eine finstere Zeit. Stürme zogen über das Land, das Meer war ein tobendes Chaos und fraß an den Küsten. Tief unter der nackten Oberfläche der Erde fand ein gigantischer Kampf statt, waren die Eurasische Erdscholle und die Arabische Platte aneinander geraten. Auch dort, wo 35 Millionen Jahre später Städte mit klingenden Namen wie Bilbao oder Santander entstehen sollten, türmte sich das Land zu einer unfreundlichen Gebirgskette auf, die noch heute zu den regenreichsten und nebelverschleiertsten Europas gehört und deren Spitzen sich Gipfel Europas, "Picos de Europa", nennen. Dort entsprang eines Tages ein Fluss. Er war unentschlossen, ob er in den nahe gelegenen Atlantik oder in die fernen Täler im Süden fließen sollte. Aber als sich die spanischen Kordilleren scheinbar endlos die Küste entlangzogen, trat der Ebro seine Reise ans Mittelmeer an.
Damit ist sein Schicksal besiegelt. 927 Kilometer Weg legt er zurück, von den Pyrenäen strömen ihm alljährlich im Frühjahr gewaltige Mengen Schmelzwasser entgegen, insgesamt 374 Nebenflüsse münden in den Ebro und lassen ihn zur bedeutendsten Wasserader Spaniens anschwellen. Die Phönizier siedelten an seinem fruchtbaren Ufer, die Römer errichteten Städte, die Araber bauten erste große Kanäle, um das kostbare Wasser weiter ins trockene Land zu leiten. Heute ragen zehn Staudämme aus dem Flussbett, und insgesamt 127 sind es im weit verzweigten Netz der Nebenflüsse des 500 Kilometer langen Ebrobeckens. Bald soll ein langer Kanal sein Wasser bis in den trockenen Süden nach Valencia leiten.
Doch nicht nur als Wasserlieferant für die vier spanischen Provinzen, die er durchfließt, sondern auch als blutige Front im spanischen Bürgerkrieg musste der Fluss dienen. Wer von der Quelle zur Mündung fährt, dem erzählt der Ebro so seine Geschichten. Er hat viele, denn er ist der prominenteste unter den spanischen Flüssen. Er ist jener, den die Römer Iberus nannten und der der iberischen Halbinsel ihren Namen gab.
"You are standing in a very important spot" mahnt deshalb auch gleich ein Schild an der Quelle bei dem Dorf Fontibre. Zwischen den Bäumen schimmert türkis ein See, vor einem Felsen steht auf einer winzigen Landzunge die Statue der Madonna wie die Miniaturausgabe der Freiheitsstatue. Der Ebro ist ein Segen für das Land, dieser Ort ist nicht irgendein Ort. Deshalb befindet sich auch in dem Basaltbrocken, unter dem das jungfräuliche Wasser hervorströmt, ein kleiner Schrein. Zwischen die blechernen Strahlen des Heiligenscheins haben Gläubige die Fotografien Verwandter geklemmt und Briefe an die Göttliche gerichtet, die wohl von Zeit zu Zeit von einem Boten abgeholt werden – keines der papiernen Bildnisse trägt die Spuren des feuchten Winters.
Fontibre schläft noch. Ländliches Gerät rostet unter Apfelbäumen, am Schuppen lehnt ein hölzernes Wagenrad neben abgefahrenen Autoreifen und silbernen Radkappen. Aber während sich in den morschen Erkern die Jalousien hoffnungslos verheddert haben und im Fenster einer letzten noch stehenden Hauswand der blaue Himmel leuchtet, rüstet man sich für die Zukunft, dübelt Satellitenschüsseln in die alten Gemäuer, schneidet eine Flex Platten für die neue Bushaltestelle. Der Mittelpunkt der winzigen Ansiedlung im Kantabrischen Gebirge heißt jetzt "Plaza del Ebro". Vielleicht wird das Dorf, an dem der Ebro entspringt, doch einmal berühmt sein. Auch wenn die Idylle des Sees im Wäldchen kein Werk der Madonna ist, sondern das Resultat der ersten menschlichen Wehr, die kaum hundert Meter entfernt vom wasserspendenden Felsbrocken errichtet wurde.
Der Ebro bahnt sich seinen Weg. Zäh, unaufhaltsam. Er schlüpft durch die steinernen Einfriedungen der kantabrischen Weiden, schlängelt sich durch Hügel, durchtaucht den ersten hölzernen Steg und die erste Brücke und trifft am Ufer plötzlich auf einen Drachen. Am Abend wird man das mannshohe Untier durch die mit Wimpeln geschmückten Straßen von Reinosa ziehen und "San Mateo" feiern. Man feiert nicht viele Feste hier in den verregneten Bergen, und "so wie in Logrono ist es nicht. Wir haben auch nur fünf Wagen!", lächelt der junge Drachenbauer, der sich am Ufer die Farbe von den Händen wäscht. Aber lustig sei es schon. "Vor allem die jungen Leute trinken und erzählen die ganze Nacht, alle Bars sind voll. Nur die Alten gehen früh schlafen. Denen wird das zu laut. Die wollen nur die Berge hören."
Reinosa ist die erste kleine Stadt am Fluss, über die steinernen Mauern der Gärten wachsen die Obstbäume, Forellen stehen im Wasser. Doch man hat Paletten mit neuem Pflaster angefahren und Bänke am Ufer aufgestellt. Es ist nicht irgendein Fluss, an dem man wohnt, und man möchte in Zukunft auch hier ein paar Pesos verdienen mit dem großen Namen. Und wo hat der Ebro noch einmal dieses unschuldige Antlitz wie hier oben in Kantabrien?
Schon einige Hügel weiter, wenn das Tal sich weitet, ist aus dem sprudelnden Quellbach ein schlammiger Strom geworden. Trocken und zerrissen liegt das breite Flussbett unter der Herbstsonne. Nur in der Mitte noch fließt träges Wasser, stehen Reiher, haben Rinderherden den rötlichen Schlamm aufgewühlt. Es ist September, das Wasser im "Embalse del Ebro", dem ersten Stausee am Fluss, hat sich bis vor den Damm zurückgezogen, wo fette Karpfen in der grünen Algensuppe nach Luft schnappen, während im Schatten der Mauer leise die Transformatoren surren.
Nachdem sich der Fluss durch die 2,6 Meter breite Röhre gezwängt hat, führt sein Weg durch flaches, mensch- und tierloses Hochland. Sensationen sind selten hier im Norden, doch einmal frisst er sich tief ins Land hinein, reißt die zackige Linie der "Ebroschlucht" in den Fels. An ihrer engsten Stelle haben sich ein Volk von Geiern und einige Menschen niedergelassen, duckt sich das Dorf zwischen Felswände, deren Spitzen wie Zinnen aufragen. Winzige Gärten haben die Leute von Orbaneja de Castillo am schmalen Uferstreifen angelegt und das Wasser des Flusses zu Tomaten und Kartoffeln geleitet. Jetzt haben spanische Touristen eine Spur von Wohlstand ins Dorf gebracht, die in den kleinen Bars und den Restaurants mit ihren weißen Tischdecken zwischen den Felsspalten zu Mittag zu essen, einen guten Wein trinken und den Blick über die Kulisse schweifen lassen.
Doch kaum hat der Fluss die Schlucht verlassen, sucht man vergeblich nach einer Bar. Im nächsten Ort, in Pescuero del Ebro, hat sich das Leben kaum verändert, da gehen die Bauern noch ihre alten Wege über die steinerne Brücke zu den Äckern am Fluss. Einige Biegungen flussabwärts erstrecken sich endlose Felder vertrockneter Sonnenblumen und grauen Getreides. Die Tage sind lang hier, Gott weiß, worüber sie reden, die alten Männer mit dem Stock und die jungen Frauen mit dem Kinderwagen, wenn sie am Abend den Weg in ihre unsichtbaren Dörfer antreten, die sich in die flachen Mulden des Landes ducken.
Dann aber erreicht der Ebro die Rioja. In weiten Schleifen umfließt er die Weinberge von Haro, die es ohne ihn nicht gäbe. Einst leiteten noch Gräben und Steinrinnen das Wasser zu den Weinstöcken, heute pumpen es Motoren auf die Felder. 200 Millionen Liter Wein produziert die Rioja im Jahr, und überall wuchern neue, wellblechüberdachte Bodegas mit Laderampen und günstigem Verkehrsanschluss aus dem kargen Boden. Eine Woche lang feiert man in der Hauptstadt Logrono den Beginn der Weinlese, feiert zu Ehren der Schutzpatronin der Stadt, die es gut mit ihnen meinte. Eine Woche, in der sie aus der gesamten Provinz kommen, um die Stiere zu sehen, um mit dem Weinglas in der Hand die warmen Mauern der Altstadt entlangzulaufen, zu den vielen Plätzen mit ihren Buden und Bühnen und in die Bars, in denen sie trinken und Serranoschinken kauen, die ganze Nacht. An den Fluss denkt dann keiner mehr, wenn um Mitternacht Kaskaden leuchtender Raketen von der Ebrobrücke in den nächtlichen Himmel aufsteigen, sich die Verliebten küssen und die ersten Weintrinker am Ufer eingeschlafen sind.
Eine Stunde flussabwärts, schon in Aragonien, verdichten sich die Vorboten einer echten Stadt, stapeln sich in den Höfen der Gebrauchtwarenhändler Autoreifen, Kiesberge säumen das Ufer, Lagerhallen stehen zwischen staubigen Maisfeldern. Auf einem Schrottplatz verrosten unbeachtet 20 jener ausrangierten Dampflokomotiven, die auch nach Spanien einmal den Fortschritt brachten. Saragossa ist die größte Stadt am Fluss, mit unzähligen Bars im aufpolierten alten Viertel, Goyas in der Gemäldesammlung und der berühmten "Basilika Nuestra Senora del Pilar". Stolz registriert Saragossa die meisten Kinobesuche Spaniens, doch was die Menschen in die Kinosäle drängt, ist der Zelluloidtraum vom besseren Leben. Hinter dem Markt bilden sich Trauben jobloser Schwarzafrikaner und Marokkaner, hängen die blondierten Prostituierten löchrige Socken auf den Draht des Balkons, geben notdürftig abgerissene Häuser den Blick frei auf Szenen, die sich sonst nur in Hinterhöfen abspielen.
Schon im Jahr 14 vor Christus beschloss ein gewisser Cäsar, sich an der flachen Furt niederzulassen. Alle Wege der Halbinsel führten einst nach Caesaraugusta. Heute ist Saragossa die Hauptstadt eines der trockensten Landstriche Europas. Nur der Ebro mit seinen Obstplantagen zieht eine grüne Spur durch das ockerfarbene Land. Staubige Straßen gehen vom Fluss in die Monegros hinauf sowie eine neue, elegante Asphaltspur, die stur gerade über die endlosen Westernhügel führt, bis zwei hohläugige Kirchtürme in den Himmel ragen. Unter ihnen liegen die Trümmer der Geister-Stadt Belchite.
Noch heute leuchtet das Blau, mit dem man Decken und Wände der Zimmer tünchte, hängen einige Balkone über der staubigen Hauptstraße und schützt das Dach die von Maschinengewehrsalven vernarbten Gesichter der Fresken in der Iglesia San Augusta. Doch ringsum ist Belchite zu einem Steinhaufen zerfallen. Das eisenbeschlagene Stadttor hat der Invasion nicht standgehalten. Die Sieger haben es am Straßenrand liegen lassen. Dort liegt es noch, neben dem Getränkeautomaten mit den leuchtenden Erdbeeren und der taufrischen Kiwi für die seltenen Besucher, die den Weg in die tote Stadt finden, zu einem Mahnmal des spanischen Bürgerkrieges.
4000 lebten in Belchite, 5000 starben für Belchite, 600000 im ganzen Land. "Sie sahen nicht aus wie Menschen", sondern wie "ein Haufen seltsam zerbrochener Puppen", schrieb der Kriegsberichterstatter Ernest Hemingway über die Toten am Ebro, der zur blutigen Front geworden war. "Hier, um das Dorf Mequinenza herum", erzählt der alte Emilio " haben sie tagsüber aufeinander geschossen, und nachts haben sie sich über den Fluss die Neuigkeiten zugerufen. Sie waren ja Nachbarn, kannten sich alle. Sogar mit Zigaretten haben sie sich ausgeholfen."
Emilio lacht, wenn er davon erzählt. Es ist lange genug her. "Den einen Tag wurden wir von den Revolutionären, den nächsten von den Faschisten aus der Schusslinie getrieben. Eine der letzten Schlachten lieferten sie sich bei Ermita de Pilar. Dort drüben, hinter dem Berg." Emilio deutet auf einen kahlen Hang auf der anderen Seite des Ebros. Von dem Dorf ist heute nur noch eine Kirchturmspitze zu sehen.
Aber es war nicht der Krieg, der das Dorf auslöschte. Ermita de Pilar versank in einem gigantischen Stausee. Schon seit 30 Jahren liegt ein stiller Wasserspiegel über der Vergangenheit, mit idyllischen Lagunen im schroffen Fels, tiefblau und so schön wie der Lago Maggiore. Schon heißt ein Teil des künstlichen Gewässers "Mar de Aragon", ein Hotel hat sich am 500 Kilometer langen Ufer niedergelassen. Eine Wochenendsiedlung amerikanischen Stils ist entstanden mit rechteckigen Friedhofshecken, akkuraten Garageneinfahrten und rosafarbenen Hollywoodschaukeln vor rosafarbenen Villen, die "Paradiso" oder "Villa Palmera" heißen. Doch ein Mittelmeerstrand wird vorerst nicht daraus werden. Immer wieder reißt der Ebro Geröll vom lehmigen Ufer.
Auch das alte Dorf Mequinenza ist im größten Stausee am Ebro versunken. Dabei war das Dorf gerade zu neuem Leben erwacht. Nie zuvor war Emilios Fuhrwerk so gefragt wie in den zehn Jahren während des Dammbaus. Jedes dritte Haus wurde zur Bar, "die Geschäfte waren voll und wir hatten hier plötzlich zwei Kinos!" 4000 Fremde arbeiteten hier, "keiner wusste, woher sie kamen, und viele, die verunglückten, sind einfach dort oben einbetoniert worden – es hat auch nie jemand nach ihnen gefragt!"
Dann, 1969, kam das Wasser. 12000 waren sie einmal im alten Mequinenza, im neuen wohnen nur noch halb so viele. Die 50000 Peseten, die man jedem in die Hand drückte, reichten nicht lange. Arbeit gab es keine mehr, die Bergwerke waren überflutet, Emilio konnte keine Kohle mehr fahren. Auch sein Maultier brauchte keine Schiffe mehr flussaufwärts zu ziehen. Es kamen keine Schiffe mehr.

fotos: © Michael Hughes
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Nur die Welse haben es über die Dämme geschafft, bis hinauf nach Saragossa und hinunter bis ans Meer, wo man sie heute stolz im Aquarium des Ökomuseums präsentiert, als gehörten sie zu den spanischen Ureinwohnern. Dabei ist es erst 30 Jahre her, dass ein deutscher Urlauber vier Exemplare im Kofferraum heimlich über die Grenze brachte, um sich seinen privaten Fischteich im Stausee zu schaffen. Heute bevölkern 6000 Exemplare des bärtigen Riesen den See bei Mequinenza, der größte brachte es auf 2,37 Meter. Jetzt fehlen noch wenige Zentimeter zum Weltrekord.
Das hat sich herumgesprochen unter den Anglern, die Neu-Mequinenza eine Zukunft versprechen. Nachdem zwei Deutsche die Lücke im Reisekatalog mit den Flossentieren ausfüllten, sind Bootsverleih und Angelführer ein Geschäft, das Restaurant hat angebaut, die Wirtin der Pension wünscht zum Abschied Petri Heil. Wo vor zehn Jahren noch Zelte den Anglern auf ihrer ewigen Jagd nach dem Traumfisch Unterschlupf boten, stehen heute die 70 Blockhütten und Apartments des Bavarian Guiding Service, Gartenzwerge und Bierkästen für Stammgäste. "Die meisten, die hierher kommen, sind schon immer hinter dem Wels her!", sagt Jürgen Stegherr, "Hier haben sie ideale Bedingungen!" Nur manchmal verfängt sich die Schnur in den alten Gemäuern und den Olivenbäumen der untergegangenen Stadt.
Lang streckt sich der See, windet sich durch schroffes Gestein und hohe Berge. Im letzten, stillen Zipfel liegen einige Hausboote vor Anker, Angler haben die Ruten ausgeworfen, Kinder schwimmen im Wasser. Dann lässt die Straße den See zurück, klettert hoch über den Fluss auf die Sierra de Fatarella hinauf, wo Zedern und Thymian duften und schon der feuchte, warme Atem des Mittelmeers herüberweht. Es wird plötzlich turbulent am Ufer des Ebro, bei Flix schlingen sich die rostigen Gedärme einer Raffinerie durchs Tal, wenig später ragt der gigantische Kühlturm eines Atomkraftwerkes über die Hügel, Opel baut mit billigen Arbeitskräften und billigem Flusswasser.
Bei dem Dorf Xerta hat man den Hügel halbiert, den Fluss begradigt und durch eine Schleuse geleitet, deren Sinn noch im Verborgenen liegt. Hier können kleine Schiffe hinauffahren, "Kanus zum Beispiel! Aber natürlich nur wenige Kilometer, bis zur nächsten Mauer…", sagt der Ingenieur an der Baustelle und weist Fremden den Weg zurück zur Straße. Neugierige sieht man hier nicht gern.
Denn bei Xerta, wo im Oktober 1938 sich am faschistischen Ufer noch einmal "fünf Divisionen, 70 Batterien aller Kaliber, zwei Gruppen Panzerwagen, dazu die deutsche Flak, Artilleriegruppe Lucht" und Hitlers fliegende Legion Condor zum "furchtbarsten Zweikampf dieses ganzen Krieges" formierten, hat ein neuer Kampf begonnen: Der Kampf um das Wasser. Mit der aufwendigen Schleuse und dem Kraftwerk, so vermuten die Anrainer, sind die ersten Weichen für ein umstrittenes Projekt gestellt: 70 neue Dämme und ein 500 Kilomter langer Kanal, der das Wasser des Ebros bis nach Valencia leiten soll. Deshalb haben die Reisbauern des Ebrodeltas die Bäume am Straßenrand mit blauen Plastikfahnen beflaggt und diese zu einem Knoten verschlungen, dem Knoten in der Wasserleitung. 10000 von ihnen zogen am 9. September nach Brüssel, um ein Projekt zu verhindern, das 43 Milliarden Mark kosten würde. Und das ihre Existenz bedroht.
Die Reisbauern im flachen Delta mit der kleinen Ansiedlung von Flamingos, dem morgendlichen Nebel über den sumpfigen Feldern und den weiß schimmernden Dünen vor dem Meer befürchten, dass das Salzwasser vom Meer in ihre Felder dringt, wenn man noch einmal zehn Millionen Kubikmeter Wasser aus dem Fluss ableitet. Schon jetzt führt der Ebro dort, wo der letzte schmale Sandstreifen seines Ufers ins Mittelmeer taucht, nur noch knapp die Hälfte des Wassers mit sich, das er vor dem Bau der Dämme ins Delta brachte.
"Das Maß ist voll. Man hat auf unserem Boden Kohlekraftwerke gebaut, Windräder, Staudämme und vier Atomkraftwerke. Wir liefern den Strom für ganz Katalonien. Aber wir gehören zu den ärmsten Regionen Spaniens!", sagt der Geologe Antonio Canicio Albacar, der in Mexiko und Nordamerika nach Gold und Silber suchte und nun ans heimische Delta zurückgekehrt ist, um Reis anzubauen. "Und nun wollen sie mit unserem Wasser die reichen Küstenregionen im Süden versorgen." Das hat die Bewohner an der Ebromündung aufgebracht.
"Der Ebro, wissen Sie, ist ja nicht irgendein Fluss. Um den Ebro wurde immer gekämpft. Aber wir haben Hoffnung, den Kampf zu gewinnen!", sagt Dr. Albacar und hebt den Finger. "Denn wir haben ja unsere kleine Ebromuschel. Es gibt sie nur einmal auf der Welt." Tatsächlich zählt in Brüssel die Erhaltung ihrer Art mehr als die unterschiedlichen Interessen der Bauern des Deltas und der wasserarmen Städte im Süden des Landes. So könnte es sein, dass die winzige Margaritifera auricularia am Ende über das weitere Schicksal des großes Flusses entscheiden wird.

Service

ANREISE: Anflug mit Iberia ab München, Berlin, Frankfurt a.M. über Barcelona nach Bilbao, Rückflug ab Barcelona. Preise bei siebentägiger Vorausbuchung: Frankfurt a.M. ab ca. 500 Mark, inkl. Gebühren.

MIETWAGEN: Am Flughafen von Bilbao gibt es eine Avis-Vertretung. Der PKW kann in Barcelona abgegeben werden. Preis/Woche ab rund 350 Mark. Für die Fahrt mit dem PKW entlang des Ebro ist der Straßen- und Reiseatlas von Michelin hilfreich. Die Reise von der Quelle bis zur Mündung über zum Teil kleine Nebenstraßen in den Bergen ist für Motorradfahrer eine reizvolle Route.

UNTERKUNFT: Hotels gibt es nicht überall am Ebro. Unterkunftsmöglichkeiten findet man:
In Reinosa, drei bescheidene Pensionen und ein Hotel. Einen Besuch wert sind die alten Kneipen und Bars mit ausschließlich spanischem Publikum, sehr gutem, einfachen Essen und Wein.
In Haro, der Hauptstadt des Weines. Außergewöhnlich ist das "Los Augustinos", ein Vier-Sterne-Hotel in den Mauern eines ehemaligen augustinischen Klosters. Das Einzelzimmer ohne Frühstück kostet umgerechnet 120 Mark (Tel. 0034/941/311308). Ferner bieten kleine Pensionen ab ca. 50 Mark sowie ein Campingplatz am Ebro Unterkunft. Zu empfehlen sind Besuche in den Weinkellern von Haro. Die Bodegas Muga bieten montags bis freitags jeweils um 11 und 16 Uhr einen Rundgang durch die Kellerei, Weinprobe und Verköstigung für sechs Mark. (Tel. 0034/941/312867). Bodegas Bibanias samstags und sonntags jeweils um 10 und um 12 Uhr. Haro besitzt eine Reihe gemütlicher Restaurants mit deftiger riojanischer Küche und interessanten Mittagsmenüs inklusive einer Flasche Wein vor allem in der Calle St. Thomas und im historischen Stadtkern. Weitere Auskünfte bei der Touristeninformation: Tel. 0034/941/303366.
In Logrono, der Hauptstadt der Rioja, bieten sich Hotels und Pensionen aller Klassen an. Über 200 Bars und Restaurants erfüllen die kulinarischen Wünsche hungriger und durstiger Reisender. Viele kleine Lokale befinden sich in derAltstadt in der Calle Laurel. In der Calle St. Agustin 17 offeriert das "Las Cubanas" ein dreigängiges Mittagsmenü und eine Flasche Wein für 23 Mark. Am 21. September, dem Fest des San Mateo, sollten Zimmer rechtzeitig reserviert werden. Touristeninformation: Tel. 0034/941/260665.
Auch in Saragossa ist für Unterkunft und Verpflegung gesorgt. Unter anderem bietet das Drei-Sterne Hotel "Caesaraugusta" Einzelzimmer ab 90 Mark (Tel. 0034/976/ 282727). Günstiger und dennoch nett ist zum Beispiel das Hostal Rodes in der Nähe der alten Markthalle von Saragossa (Tel. 0034/976/464119). Ein empfehlenswertes Restaurant der gehobeneren Preisklasse ist das "La Bastilla" in der Coso 177. Nähere Informationen in Deutsch und Englisch über Unterkünfte, Führungen, Museen und Ausflugsmöglichkeiten bei der Touristeninformation von Saragossa (Tel. 0034/976/ 12333).
In Mequinenza hat die Pension "Carretera Fraga" acht kleine, nette Zimmer in der Nähe des Hauptplatzes für 30 Mark (Tel. 0034/974/464119) Am Ufer des Ebro stehen weitere 70 Apartments und Blockhäuser nicht nur für Angler bereit. Zu buchen bei dem "Bavarian Guiding Service" ( Tel. 0034/974/465032). Auf dem See selbst in der Nähe des Ortes Riba Rioja hat "Andrees Angelreisen" Hausboote vor Anker liegen. Die fahrtüchtigen und komplett eingerichteten Boote sind ab 437 Mark pro Woche und Person zu mieten. Prospekte und weitere Informationen unter der deutschen Nummer: 01627/8011.
Im Ebrodelta stehen viele Hotels zur Verfügung, u. a. das Drei-Sterne-Hotel "Casablanca" ( Tel. 0034/977/ 489291) oder das Deltahotel (Tel. 0034/977/480046). In St. Charles bietet das Hotel "Juanito Platja" (Tel. 0034/977/740462), ein großes Haus mit Balkonen und Blick aufs Meer, eigener, kleiner Promenade und Restaurant im Erdgeschoss, günstigen Aufenthalt.

LITERATUR: Eine passende Reiselektüre ist Hemingways Roman Wem die Stunde schlägt. Ebenfalls vom Krieg und nicht weniger literarisch berichten die 49 Depeschen – Ausgewählte Zeitungsberichte und Reportagen aus den Jahren 1920 - 1956 von Ernest Hemingway, erschienen bei Rowohlt. Als Reiseführer für den oberen Lauf des Ebro, mit einer ausführlichen Beschreibung von Kantabrien und den Picos de Europa, eignet sich Nordspanien, Polyglott-APA-Guide, 2000. Für den unteren Lauf Katalonien und Andorra – von den Pyrenäen zum Ebro, Du Mont Verlag.

AUSKUNFT: Spanisches Fremdenverkehrsamt, Myliusstr. 14, 60323 Frankfurt a.M., Tel. 069/725033, Fax 725313, E-Mail frankfurt@tourspain.es.

Frankfurter Rundschau - 2001
© Hans W. Korfmann

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foto: © Michael Hughes
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