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Wenn die Winzer in Logroño feiern,
versammelt sich die halbe Provinz Rioja im Ort. Zur Fiesta fließt der Wein in Strömen – eine Woche lang

Von Hans W. Korfmann

In der Vorstadt keine Spur. Man glaubt, am falschen Ort zu sein. Weder Fähnchen und Flaggen noch Plakate oder Schilder, auch keine Menschenwanderungen deuten darauf hin, dass hinter der schmucklosen Backsteinfassade der Provinzhauptstadt Logroño ein Fest der Superlative stattfindet. Nichts lässt erahnen, dass die staubigen Vorstadtstraßen mit ihren Reifenhändlern und Autowerkstätten in eine verzwickt verwinkelte Altstadt münden, in der sich die halbe Provinz Rioja versammelt hat, um gleich zwei Feste zu feiern: „San Mateo“ und den Beginn der Weinlese. Und da man nie so genau weiß, wann die Ernte wirklich beginnt, feiert man vorsichtshalber eine ganze Woche lang.

Offiziell feiert man, um der Schutzpatronin der Stadt seinen Dank zu erweisen, die aus dem lehmigen, wüstenfarbenen Boden einen roten Traubensaft emporsteigen ließ, der die Region weltberühmt und zu einer der wohlhabendsten Spaniens machte. Ohne die emsig saugenden, knorrigen Rebstöcke entlang diesem braunen Fluss namens Ebro müsste Logroño wohl auf die prunkvollen Bankhäuser und die Feinkostläden mit ihren vergoldeten Fensterrahmen ebenso verzichten wie auf die breiten Zementschleifen der Autobahnzubringer und die hohen Wohnquader über den menschenleeren Spielplätzen. Der Wein ist ein Segen für Land und Stadt, an den respektablen Plätzen trägt sogar das rote Pflaster der Gehsteige das Motiv von Rebe und Weinblatt.

Dass man in Logroño sieben Tage lang feiert, und dass der 21. September der Höhepunkt dieser sieben Tage ist, hat sich herumgesprochen – in der Rioja. Und seit es Maulesel, den heiligen Matthäus und den Wein gibt, kommen jedes Jahr mehr Riojaner angereist. Inzwischen aber „kommen sie sogar aus dem Ausland“, sagt die Dame an der zentralen Touristeninformation eifrig. Deutsch, Französisch und Englisch jedoch sind am Counter des gläsernen Reisezentrums noch fremde Sprachen, die Prospekte halten sich ans Spanische.

 
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Fotos: © Michael Hughes

Es wird wohl noch dauern, bis Logroño sichüber die Grenzen Spaniens hinaus einen Namen gemacht haben wird und das Fest der Weinlese so berühmt ist wie die Fiesta de San Firmín drüben auf der anderen Seite des Ebros, in Pamplona. Ganz Spanien schielt ein Mal im Jahr neidisch nach dem famosen Städtchen mit den Stieren, aber am neidvollsten schielt der Nachbar vom gegenüberliegenden Ufer. Der Ehrgeiz steckt ihm im Nacken, und deshalb hat man in Logroño vor drei Jahren eine neue Stierkampfstätte eingeweiht. Milliarden von Peseten hat die Arena verschlungen.

Pamplona ist zu nah, als dass man nicht auch in Logroño am Morgen des 21. September die Stiere durch die Stadt treiben müsste, während sich das Volk der Schaulustigen an die eng aneinander gedrängten Mauern der Altstadt presst.„Corredores“, die Jungen und Wilden unter den Riojanern, stellen sich den laufenden Stieren in den Weg. 10 000 sind früh auf den Beinen, um die Tiere auf ihrem letzten Weg zu begleiten. Wenn die unglücklichen Stiere glücklich in der Arena sind, steuern die Menschen auf die Bars von Logroño zu. Die zahllosen Wirte der Stadt greifen freudig zu den Flaschen. „San Mateo“ ist ein wichtiger Tag im Leben der Stierkämpfer, der Weintrinker und der Weinverkäufer. Nur die Stadtväter versuchen jedes Jahr, die feiertägliche Trinkfreudigkeit mit einem kulturellen Programm im zivilen Rahmen zu halten. Auf allen großen und kleinen Plätzen haben sie Bühnen aufgebaut. Auf der „Plaza Espolon“ treten Riojaner in riojanischer Tracht die kostbaren Trauben mit den Füßen, um den ersten Most der Jungfrau von Valvanera, der wohlgesonnenen Schutzpatronin Logroños zu weihen. Auf der„Plaza del Mercado“ hat man Kohlen zum Glühen gebracht und Fleisch auf den Grill gelegt, auf der „Plaza Martinez Zapota“ werden Rühreier mit Paprikaschoten vermischt und auf der „Plaza de la Estrella“ gibt es Wurst und Speck. In der Rioja liebt man es deftig.

Zu Mittag hat das Fest einen ersten Höhepunkt erreicht, vor dem Engpass der „Bar Diagonal“ hat sich ein Stau gebildet, drei leere Bierfässer hat der Wirt schon an die Seite geräumt. Während die jungen Riojaner noch in den Bars stehen, ziehen sich die reiferen Damen mit den ergrauten Herren am Arm in stille Restaurants und Hotelzimmer zurück. Und die Familienausflügler mit ihren Söhnen in Kniestrümpfen und ihren Töchtern in Faltenröckchen werden von den borstigen Automobilen der Stadtreinigung aus dem Straßenbild gefegt, die Logroño für den Abend wieder herrichten sollen. Zwei Uhr Mittag, Siesta der Fiesta. Für einen Moment kehrt Ordnung in die Straßen zurück, auch das vogelartige Gezwitscher ist wieder zu hören, das aus den Lautsprechern der Ampelmasten tönt und die Fußgänger am Ende des Zebrastreifens zur Eile mahnt.

Dann geht es weiter. Zwei Stunden schon haben Schaulustige am Straßenrand auf diesen Augenblick gewartet, Männer, Frauen und die Kinder mit den fliegenden Delphinen und Dalmatinern an der Schnur, die liebenswürdige Onkel und Tanten aus dem heliumgefüllten Knäuel der geduldigen Ballonverkäufer für ein paar Cent befreit haben. Auch Gaukler und Straßenkünstler warten auf das Wunder von „San Mateo“, Peruaner spielen noch immer ihr „El Condor Pasa“ – ohne großen Erfolg. Nur der Teufel macht sein Geschäft. Vor den kolossalen Mauern der Kathedrale von Santa Maria la Retonda steht die erschreckende Gestalt, ein feuerrotes Gesicht und Hörner auf dem Kopf. Er verharrt unbeweglich, nur beim lieblichen Klang der Münzen, die in seinen Hut fallen, streckt er seine lange, spitze Zunge heraus, dass die Kinder kreischend davonlaufen.

In der Nähe der Plaza Espolon haben Beduinen ihr Zelt aufgeschlagen und verkaufen in Fez und spitzen Pantoffeln orientalisches Gebäck, Henna und Tee. Oder sie übersetzen bei Bedarf für eine kleine Summe jeden christlichen Namen ins Arabische. Neben dem runden Zelt verkaufen die letzten Exemplare europäischer Gurus in wehenden Gewändern Patschuli und Silberschmuck, Frauen mit perlenbestickten Kopftüchern und dem ewigen Lächeln des Cannabis Sativa backen Pfannkuchen namens „Tortas Arabes“. Seit einer Stunde dreht die Band auf der Bühne am Lautsprecher und probt den Rock & Roll, während eine Ecke weiter eine spanische Miniaturausgabe der Grünen Woche stattfindet und sämtliche Provinzen ihre Spezialitäten – nämlich Wein, Schinken und Käse – präsentieren, um den Riojanern klar zu machen, dass nicht nur sie etwas von Schinken, Käse und vor allem Wein verstehen.

Und dann, ein paar Meter weiter, über der Ebrobrücke, steigen die ersten Raketen auf. Ein Sternenregen fällt aus dem nächtlichen Himmel und spiegelt sich im Fluss. In den Straßen sind die Autos stehen geblieben und die Menschen und staunen und raunen jedes Jahr aufs Neue. Noch eine Stunde bis Mitternacht. Der Vogelstimmenimitator zwitschert aus voller Kehle, und der Teufel vor der Kirche hat kaum noch Gelegenheit, seine lange Zunge wieder einzurollen, so oft klingeln jetzt die lieblichen Münzen. Während auf der großen Bühne vor der Plaza del Mercado glitzernde Paare Tango tanzen und im Scheinwerferlicht die kultivierte Form der Erotik präsentieren, wird das Klima im Halbdunkel der Lokale allmählich subtropisch, vereinen sich in den Nischen der alten Gemäuer die Paare zu hungrigen Küssen.

Das Fest hat seinen zweiten, großen Anlauf genommen, gleich ist die Nacht am tiefsten, leuchtet das Fest am hellsten. Noch einmal versammelt man sich in der Calle de San Agustín, Polizisten verweisen Eltern mit kleinen Kindern auf die hinteren Ränge, Jugendliche klettern auf die Fenstersimse und die Alten verdrücken sich in geschützte Winkel. Sie warten auf den „brennenden Stier“. Um Mitternacht soll er durch die Straße kommen. Der Stier, Symbol unbändiger Kraft, spanischer Mythos, unsterbliche Legende. Seit einer Stunde stehen und warten sie. Und dann, schon lange nach Mitternacht, dann endlich taucht er auf, begrüßt vom tosenden Applaus, der rasende, brennende, spanische Stier, notdürftig aus ein paar Holzlatten zusammengenagelt, über den Kopf eines wagemutigen Läufers gestülpt. Eine Art Raketenabschussbasis, die rauchend, knallend und Feuer speiend die flüchtende und jubelnde Menge vor sich hertreibt, und von der ein letztes Mal in dieser Nacht Raketen in den Himmel aufsteigen.

Am Ende bleibt nichts als infernalischer Rauch und Schwefelgestank, und wenn der letzte Nebel verflogen ist, dann endlich treten auch jene, die seit dem Lauf der Stiere am frühen Morgen am Tresen stehen, in die Nacht hinaus, um mit den Gläsern in der Hand durch die Stadt zu ziehen. In jeder Bar, an jeder Straßenecke füllt man Wein in die Gläser und schneidet Schinken und Brot. Und um vier, wenn der Bäcker in der Calle de San Agustín seine Brote in den Ofen schiebt und erster Kaffeegeruch aus den Häusern zieht, sieht man in den dunklen Winkeln der Altstadt die gebeugten Rücken von Männern, denen doch noch schwindelte vom vielen riojanischen Wein. Und in den Hauseingängen sieht man die Silhouetten verschlungener Paare, denen doch noch schwindelte vom vielen Küssen, die ganze Nacht.

Und dann, wenn im Morgengrauen der Regen kommt, um die ausgebrannten Hülsen der Feuerwerkskörper und die roten Weinlachen vom Pflaster zu spülen, wird es dann still in Logroño. Dann schläft die Stadt doch noch ein wenig. Das Fest geht später weiter.

Der Tagesspiegel - 2003
© Hans W. Korfmann

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