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Trinkt Wein, zeugt Kinder!

Der Saft der Könige: Navarra tritt endlich aus dem langen Schatten der Rioja / Von Hans W. Korfmann

Der spanische Thronfolger Felipe ließ bei der Hochzeit mit seiner Letizia Wein aus Navarra kredenzen. Der künftige König hat also Geschmack, und das spanische Volk muß sich um den Zustand seiner Monarchie keine Sorgen machen.

Unweit der Plaza San Nicolás steht zwischen vielen hundert Flaschen aller Formen, Farben und Größen ein Mann und lächelt. Er sieht mit seiner bescheidenen Nickelbrille und seinem schlurfenden Gang ein bißchen so aus wie der einsiedlerische Pettersson auf den Zeichnungen des schwedischen Kinderbuchautors Sven Nordqvist. Der Rücken des Mannes ist müde geworden, so viele Jahre beugt er sich schon über die alte Ladentheke der "Vinoteca Murillo" in Pamplona und rollt Flaschen in Papier ein.

Doch hin und wieder huscht eine jugendliche Morgenröte über die alte Haut des Mannes, ein rosiges Glühen, eine schnell aufsteigende Hitze wie von gutem Wein. Wenn etwa an einem menschenleeren Nachmittag - lange nach der großen Fiesta von Pamplona, zu der sich die Straßen der Hauptstadt Navarras mit stierkämpfenden und Cowboyhut tragenden Trunkenbolden aus aller Welt füllen oder mit Männern mit khakifarbenen Safarihosen und silbergrauen Hemingway-Bärten, die alle im Hotel "La Perla" absteigen und gegenüber im pompös-barocken Salon der Cafetería "Iruna" Absinth trinken - wenn also an einem solchen menschenleeren Nachmittag zwischen den vielen Weinflaschen plötzlich zwei junge Französinnen erscheinen und mit dem alten Weinverkäufer flirten, dann lächelt er, als wären all die Jahre nie gewesen.

Bereitwillig kramt er seine letzten Erinnerungsbrocken Französisch hervor und erklärt, was die silberne Medaille auf der Flasche Palacio de Sada bedeutet. Und daß nichts an diesem Wein zu kräftig sei, kein Faßton, kein Aroma, keine Frucht sich in den Vordergrund drängte. Und daß dieser Wein, wenn nicht Navarra, sondern Rioja auf dem Etikett stünde, nicht fünf, sondern fünfundzwanzig Euro kostete, so wie die berühmten riojanischen Reservas, die Marquez de Murieta oder López de Heredia, die der alte Mann neben den Ausländern, neben dem deutschen Riesling oder dem österreichischen Gewürztraminer, einsortiert hat. Sogar Italiener findet man im Sortiment des spanischen Weinhändlers und zwei Australier. Nur französische Weine fehlen. "Französische Weine gibt es nicht weit von hier, es sind nur ein paar Kilometer bis zur Grenze über die Pyrenäen. Aber so gute Rosés wie bei mir werdet ihr dort nicht finden."

Die Freundschaft zu den Nachbarn hält sich in Grenzen. Zwar haben die spanischen Winzer ihr Wissen von den Önologen jenseits der Pyrenäen, aber die alten Streitereien sind unvergessen. Bis heute erzählt man sich auf der spanischen Seite des Bergriegels, wie oft die Franzosen über die Schlösser der Könige von Navarra hergefallen seien - so oft, bis einer von ihnen den Palast von Olite kurzerhand selbst ansteckte, um in Zukunft von Überfällen verschont zu bleiben. Der Palast muß, glaubt man alten Reiseberichten und neuen Rekonstruktionsversuchen, ein Schmuckstück gewesen sein mit seinen vielen Türmen, seiner maßlosen Verspieltheit, die an Dalís Museum in Figueras oder das Guggenheim in Bilbao mit seinen bizarren Konturen erinnert. Und mit seinen sagenumwobenen "Gärten von Olite", womit man den Garten der Königin meinte, die sich bei ihrem Gemahl Carlos III. darüber beschwert hatte, daß sie von ihrem Zimmer in luftiger Höhe immer so viele Treppen steigen müsse, um in den Palastgarten zu gelangen. Deshalb ließ der liebevolle Gatte auf acht starken Arkaden vor dem Fenster seiner Frau ein hohes Gebäude mit Dachgarten anlegen, den fortan Blüten überwucherten.

Wahrscheinlich werden schon die spanischen Machos des fünfzehnten Jahrhunderts über die Unterwürfigkeit von Carlos III. gespottet haben. Doch die gnädige Nachwelt gab dem bauwütigen Regenten den Titel "el Noble" und versucht seit mehr als fünfzig Jahren, in dankbarer Erinnerung das Freudenschloß aus dem Jahr 1415 wiederaufzubauen. Noch geht das Leben im fast vergessenen Königssitz seinen alten Gang. Da stehen Frauen am Samstag morgen in kleinen Schlangen vor der Vitrine des Metzgers, um das beste Stück Fleisch abzupassen, während die Männer seit Jahrzehnten pünktlich am Freitag ihr Lotterielos kaufen. Doch bald ist die Arbeit am Palast abgeschlossen. In Olite rüstet man sich für bessere Tage, legt neues Pflaster in die engen Gassen und Souvenirs in die Schaufenster. Und vor drei Jahren schon hat die Önologin Pilar García Granero das Weinmuseum in den alten Gemäuern eröffnet.

Denn die Geschichte des Städtchens Olite ist eng verbunden mit König Thibault, dem ersten Franzosen, der sich vor achthundert Jahren unter die Könige von Navarra mischte und den Wein in Olite kultivierte. Er war der Neffe des großen Königs Sancho, dessen Oberschenkelknochen die erstaunliche Länge von einundneunzig Zentimetern aufgewiesen haben sollen, woraus man eine Gesamtlänge des Monarchen von 2,25 Meter errechnete. Doch so groß der Mann auch gewesen war, er zeugte keine Nachfahren. Womöglich wußte er noch nichts von der aphrodisierenden Wirkung des roten Rebensaftes. Thibault de Champagne dagegen war im Bilde und führte 1234 ganz neue Methoden des Weinausbaus im Lande ein. Auch wenn sich der Anbau noch auf einige kleine Felder beschränkte, dürften die königlichen Nachfolger des Franzosen schon den einen oder anderen guten Tropfen getrunken haben. Ein paar Jahrhunderte nach Thibault jedenfalls zeugten Karl der Noble und seine geliebte Königin fröhlich Kinder, was den König dazu bewog, dem bereits unüberschaubaren Ensemble an Türmchen und Türmen einen weiteren Bau hinzuzufügen: einen Spielturm für die Kinder, damit die geliebte Königin nicht so viele Stufen hinunterlaufen mußte.

Auch der neuzeitliche Adel schätzt die Weine aus Navarra. Der spanische Thronfolger Prinz Felipe wählte zu seiner Hochzeit einen Wein aus dem Keller der Familie Chivite, was die Riojaner nicht so gerne gesehen haben sollen. Aber schließlich gibt es auch in Navarra Winzer mit Tradition und Namen. Das Haus Chivite existiert seit 1647. Der eigentliche Ruhm Navarras als Weinbaugebiet ist allerdings wesentlich jünger, sein Fundament wurde erst vor einer Generation gelegt. Inzwischen horcht die Weinwelt auf, weil die Region mit mächtigen Schritten aus dem Schatten der Rioja tritt. Die französischen Sorten Cabernet Sauvignon und Merlot, die in der traditionsbewußten Rioja verboten sind, werden hier seit fünfundzwanzig Jahren kultiviert.

Der Wein aus Navarra sei "ein bißchen moderner" als der aus der Rioja, sagt Pilar García Granero, die ihr Fach in Frankreich studierte. Anfangs habe sie kein Wort von dieser "ganzen aufgeblasenen Poesie" des Weines verstanden. "Ich dachte, das lerne ich nie." Inzwischen hat sie selbst vor Studenten unterrichtet, ist Mitglied internationaler Jurys und reist um die Welt, um Menschen in die Geheimnisse des Weingenusses einzuweihen: Winzer, Händler, Gastronomen und jene Firmenvertreter in gehobenen Positionen, die bei einem Geschäftsessen nicht wissen, was sie zu dem Wein sagen sollen, weil sie eigentlich nur Bier trinken. Kürzlich wurde sie in China zu einem Vortrag geladen, doch dann rief man an, weil es Probleme mit einem Wein in ihrer Heimat gab. Sie nahm die nächste Maschine nach Pamplona. "Früher", sagt sie, "ging man nur zum Schneiden und zur Ernte in den Weinberg. Heute müssen wir jeden Tag da sein."

Pilar García Granero liebt die Weine aus Navarra, auch wenn sie sich nur wenig unterscheiden von denen der Rioja, so wenig wie die Landschaft und das Klima der beiden Regionen. Vielleicht recken sich die Berge Navarras noch ein Stückchen weiter in den Himmel als die der Rioja, und die Schluchten sind tiefer und zerklüfteter, so wie in Lumbier und Abayún, wo in der felsigen Unwegsamkeit ganze Kolonien von Adlern und Geiern hocken, weshalb immer mehr kurzhosige Engländer in Navarra eintreffen und sich mit Ferngläsern und Bocksbeutel auf die Vogelpirsch legen. Doch es gibt auch Landschaften wie nirgendwo sonst in Spanien: den riesigen Buchen- und Fichtenwald von Irati, einen Märchenwald voller Pilze und Tiere, eine Welt der stillen Menschenlosigkeit; oder die Wüste der Bardenas Reales, ein Klein-Arizona mit spitzen, steil in den Himmel ragenden Sandkegeln und wenigen lehmigen Wasserlöchern, um die sich so große Viehherden scharen wie sonst nur in Afrika. Hundertzwanzigtausend Schafe bevölkern die vergessene Gegend der Bardenas Reales im Winter.

Sonst aber ist die Landschaft in Navarra so hügelig und lehmig und unspektakulär wie am Ebro in der Rioja. Zwar sind die Weinfelder kleiner und reihen sich auch nicht nahtlos aneinander. Zwischen den Reben grasen Pferde oder Stiere, manchmal leuchten Sonnenblumen, oder der Wind streicht über das Korn. Aber auch hier sind Tempranillo und Garnacha die Trauben, die zu diesem Land passen wie keine andere. Es gibt sogar Weine aus Navarra, die als die spanische Qualitätsbezeichnung "Denominazión de Origen" den Namen Rioja tragen dürfen, weil sie geographisch zur Landschaft der Rioja gehören.

Seit diesem Sommer gibt es die offizielle Weinroute Navarras mit Kellereien und Restaurants, die zu Proben laden. Es mag sein, daß die Gegend lange Zeit den Aufbruch verschlafen hat, doch jetzt ist sie aufgewacht. Die magische Marke von hundert Millionen Flaschen Jahresproduktion ist überschritten. In zwanzig Millionen Flaschen steckt Weißwein, darunter so charakterstarke wie ein Chardonnay namens Nekeas. Fünf Millionen Flaschen sind mit den Rosé-Sorten gefüllt, für die Navarra in Spanien schon länger bekannt ist. Und in den restlichen Flaschen ist es dunkel und rot. Darunter sind Weine, die man schon kennt, aber auch solche, die noch namenlos sind. Sie wechseln für traurige 1,80 Euro den Besitzer und sind viel zu fein für all die Vorüberziehenden, die nicht ahnen, welche Arbeit in ihnen steckt.

Pilar García Granero ist lange genug im Geschäft, um nüchtern zu sein, doch sie pflegt ihre Träume. Einer von ihnen ist schon etwas älter: Es ist viele Jahre her, da hatte ihr Großvater, der noch Schulz hieß, Wein nach Deutschland exportiert. Die Großmutter hatte die Trauben auf der Terrasse zum Trocknen ausgebreitet, damit sie noch ein bißchen süßer wurden; in Deutschland waren gerade diese süßen Weine in Mode. "Ich habe diesen Geruch aus meiner Kindheit nie vergessen. Er hat mich durch mein Leben begleitet, der Duft der Trauben, die in der Sonne lagen, als ich ein kleines Mädchen war", sagt die Önologin. Aber dann gingen die Geschäfte des Großvaters schlecht, der Weingarten verödete, heute sind seine Nachfahren Advokaten. Nur eine Enkeltochter schlug aus der Art und ging nach Frankreich, um dem süßen Duft ihrer Kindheit nachzuspüren.

Heute hat es Pilar García Granero, die Botschafterin des guten Geschmacks, Liebhaberin edler Weine, Missionarin mit einem festen Glauben an die Rebstöcke Navarras, längst geschafft. Nur eines fehlt ihr noch zum Glück: der eigene Weinberg. Irgendwann einmal möchte sie so wie der Großvater ihren eigenen Wein keltern. "Nicht viel, vielleicht zehntausend, zwanzigtausend Flaschen", sagt sie und lacht, weil sich das nach viel anhört. "Aber das ist nicht viel. Das ist nur eine Liebhaberei." Sie denkt an alte Weine, keine, die schnell reifen und schnell getrunken werden, sondern solche, die sieben Jahre lang im Faß lagern und allmählich immer süßer und ausdrucksstärker werden - so wie die Weine dieses deutschen Einwanderers mit dem Namen Schulz.

Information:

Spanisches Fremdenverkehrsamt, Myliusstraße 14, 60323 Frankfurt, Telefon: 069/ 725033 oder 06123/99134, E-Mail: frankfurt@tourspain.es, Internet: www.spain.info.

FAZ - 2006
© Hans W. Korfmann

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