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Golfen im Gottesland?

 
 

Im Osten Kretas soll eine luxuriöse Ferienanlage entstehen. Anwohner und Umweltschützer wehren sich seit Jahren dagegen. Aber die Kirche, der die Ländereien gehören, ist dafür. Jetzt verschärft die Griechenland-Krise den Streit

Von Hans W. Korfmann

Sitia ist das letzte Städtchen am östlichen Ende Kretas. Einen Hügel weiter stehen nur noch vereinzelt Häuser, ein Straßenschild kündigt eine Ortschaft namens Paleokastro und ein Kloster an, sonst prägen staubige Hügel die Landschaft. Zwischen ihren niedrigen Sträuchern streifen Herden zotteliger Ziegen umher. Kein Baum spendet Schatten, kein Felsen durchbricht die Monotonie der Sidero-Halbinsel. Doch um die Ödnis ist ein Streit entbrannt: Auf der einen Seite stehen Umweltschützer, auf der anderen vertritt die Minoan Group der britischen Firma Loyalward Ltd. ihre Interessen. Den einen geht es um den Erhalt der unberührten Natur, den anderen um ein künstliches Urlaubsparadies: das Cavo Sidero Resort.

Denn das Ödland hat seine Reize. In einer Mulde zwischen den dürren Hügeln tauchen plötzlich Palmwedel auf. Zuerst vereinzelt, dann werden es immer mehr, und sie rücken dichter zusammen. Wie in einer afrikanischen Oase füllen sie bald ein ganzes Tal. Ein Tal, das zu einer tiefblauen Meeresbucht führt. Vai ist einer der drei letzten Winkel der auf Kreta heimischen Palmen. Einst ein kleines Paradies der Hippies, die am Palmenstrand schliefen, Haschisch rauchten und freie Liebe praktizierten, ist es heute ein Anziehungspunkt für Kolonnen von Reisebussen.

Land hat das Kloster genug. Das ganze Ende der Welt ist in Gottes Hand. »Und das ist gut so. Wenn das lauter verschiedenen Leuten gehören würde, dann wäre hier alles längst zugebaut«, sagt die Frau des Bananenfarmers. Bis heute überragt aber nicht ein Hotel die Palmen, und nur ein einziges Restaurant versorgt die Besucher. Der Rest ist Natur. Palmen, Sand, Sonne, Meer.

Das könnte sich bald ändern: Schon Anfang der neunziger Jahre begann der Abt nach Investoren zu suchen, um das Ödland für den Tourismus zu öffnen. »Es kamen Österreicher, Zyprer und Engländer«, erinnert sich Bananas. Als die Engländer den Zuschlag erhielten, übernahm er die Aufgabe, sie zu den entlegenen Badebuchten und Naturschönheiten zu begleiten. Über Ziegenpfade führte er die Gentlemen zum Strand von Psili Ammos, dem »feinen Sand«, und zum antiken Itanos. Die Engländer waren begeistert beim Anblick der strengen geometrischen Formen riesiger Steinquader inmitten der sanften Linien der sandigen Landschaft. Überwältigt standen sie auf den Ruinen der vor 1300 Jahren durch ein Erdbeben zerstörten Siedlung, die einst wie ein Palast auf silbrigem Schiefer über dem Meer thronte. Sie blickten über das Meer, auf das der ewige Wind am Kap seine Schaumkronen zaubert. Sie setzten sich auf die gestürzten Säulen der Basilika, liefen zum Strand hinunter, wo ein Hirte eine alte Kabeltrommel unter die Zeder gerollt und einen Marmorblock als Sitzbank davorgestellt hat, um die Gäste zu empfangen.

Und noch weiter hat sie Bananas geführt, bis ans letzte Ende vom Ende der Welt, bis zur schmalen Spur einer Landenge und zu einem Naturhafen, in dessen türkis leuchtendem Wasser ein knallrotes Fischerboot trieb und einen Hauch von Karibik in die Wüste zauberte. Als sie abends beim Essen zusammensaßen und in die Sterne sahen, sagte einer der Engländer: »So etwas Schönes dürfen wir nicht zerstören! Wir dürfen hier nur ganz dezent beleuchten.«
Bananas ist gerührt. »Was soll ich denn von solchen Männern halten? Das ist doch eine gute Sache!«

Aber in Paleokastro, dem kleinen Dorf am Wüstenrand, wächst seither der Widerstand. Als die Pläne von Straßen, neuen Siedlungen, Golfplätzen, einem Jachthafen in der »karibischen«
Bucht und Fünfsternehotels mit 7000 Betten und einem Investitionsvolumen von 1,2 Milliarden Euro auf dem Tisch lagen, formierten sich die Dörfler gegen die Engländer und den Abt, suchten Unterstützung bei Journalisten gegen das Großprojekt. Inzwischen sind 12000 Unterschriften aus aller Welt zur Rettung der Wüste zusammengekommen, der Guardian und die Times haben berichtet.

Zwischen Fotografien schöner Landschaften und schöner Frauen sitzt Manolis Tsantakis in seinem Souvenirgeschäft. Der Ort Paleokastro lebt auch von den Touristen, die auf der Fahrt nach Vai im einzigen Dorf am Straßenrand haltmachen. Tsantakis gehört zu den Gründern der Widerstandsbewegung, aber er ist das Thema allmählich leid. »Fünf Jahre geht das nun schon!«
Anfangs hätten sie noch mit dem Abt verhandelt, »doch er wollte nicht hören. Jetzt kann er nicht mehr zurück.«
Das Land ist verpachtet, für 40 Jahre, mit einer Option auf weitere 40 Jahre. »80 Jahre! Das ist so gut wie verkauft! Die Investoren können machen, was sie wollen. Fünf Golfplätze! Das passt nicht. Hierher kommen Leute mit Rucksack, nicht mit Golfschlägern. Die werden uns das letzte Wasser rauben!«

Tsantakis ereifert sich. Er ist das Thema doch noch nicht ganz leid. »Diese Geistlichen glauben nicht mehr an Gott, die glauben ans Geld. Und sie haben Geld! Sie sind die Einzigen in diesem Land, die Geld haben. Kein Mensch weiß, wie hoch das Vermögen der Kirche ist. Nicht einmal der Erzbischof in Athen. Weil nämlich kein Bischof in Griechenland verpflichtet ist, Rechenschaft über seine Geschäfte abzulegen. Vor der Kirche nicht und vor dem Finanzamt erst recht nicht.«
Tsantakis ist nicht allein mit seiner Wut auf die Kirche. Ganz Griechenland sei wütend, sagt er. Egal, was passiere, Geburt, Hochzeit, Tod, immer halte die Kirche den Säckel auf. »Es geht doch nur noch ums Geld. Wir haben den Vertrag mit den Engländern gesehen. Das Kloster ist – zusätzlich zur Pacht – mit 20 Prozent am Nettogewinn beteiligt!«

»Zehn Prozent!«, sagt der Abt Filotheos und lächelt nachsichtig, wenn er an die aufgeregten Erdenkinder denkt. »Gottes Freund« steht in einem kleinen Raum seines Klosters inmitten der Einsamkeit. Mit ihm leben hier nur noch Zacharias und der vom Alter gebeugte Nikoli, der im Krieg nicht nur die Eltern, sondern auch ein Auge verlor und in dessen niedriger Kammer das einzige Licht von den hölzernen Tafeln vergoldeter Heiligenbilder auszugehen scheint. Ungezählte Ikonen hat er um sein Bett herum versammelt. Das Kloster ist sein Paradies, ein Hof der Windstille, in dem haushohe Kakteen gedeihen, Gummibäume und Yuccas wachsen, aus Tonkrügen Blumen wuchern und hohe Mauern Schutz gewähren. Eine sichere Festung war Toplou schon immer, bewährt im Kampf der Venezianer gegen den Ansturm der Türken.

Filotheos spült Kaffeetassen. Das Inventar seiner Klause ist angemessen für einen Christen, der sich der Bescheidenheit verpflichtet hat: Tisch, Bank, Regale voller Bücher, ein Kühlschrank, darauf ein Fernseher. Wenn er von den Vorwürfen gegen ihn hört, lächelt Filotheos, ein bisschen weise, ein bisschen von oben herab. »Alles nur Neid«, sagt er. »Als griechische Unternehmer von dem Projekt hörten, beschwerten sie sich, ich hätte ihnen nichts gesagt. Dabei wussten alle hier davon, jeder konnte sich bewerben. Ich habe ihnen gesagt, sie sollen ihre Pläne einreichen.«
Der Abt hebt die Schultern, dann faltet er die Hände. Er habe getan, was er tun konnte. Den Einwand, das Land habe vor 300 Jahren gar nicht dem Kloster, sondern den Bauern gehört, lässt Filotheos nicht gelten. Alte Geschichten, wen interessiert das noch.

Die Widerständler haben Archäologen auf ihrer Seite, die befürchten, die Engländer würden die Antike zubetonieren. Roussolakkos – vielleicht eine der größten inoischen Siedlungen, aber ganz und gar überwuchert – und Itanos »sind weit von der Pacht entfernt«. Auch der Palmenwald sei von der Pacht ausgeschlossen. Filotheos verwahrt sich gegen das Gerücht, er habe eigenmächtig und ohne die Zustimmung des Patriarchen von Konstantinopel gehandelt. »Ich bin mehrmals bei ihm gewesen, um die Angelegenheit zu besprechen, 1992 kam er sogar persönlich nach Toplou.«

Zuletzt riefen die Projektgegner Umweltschützer zu Hilfe und sammelten über das Internet Unterschriften. »Von Menschen aus aller Welt, die nicht einmal wissen, wo Kreta liegt«, sagt der Abt. Als seine Widersacher den Eleonorenfalken und andere seltene Vögel in Stellung brachten, konterte Filotheos: »Hier könnten 2000 Menschen arbeiten!«
Er streicht über seinen silbernen Bart, wie ein Schachspieler nach einem gelungenen Zug. Und was die Golfplätze angeht, die angeblich so viel Wasser verbrauchen: »Wir leben im 21. Jahrhundert. Wir können in der Wüste Fische züchten, wenn wir wollen. Es gibt Entsalzungsanlagen, Regenwasserspeicher, Wiederaufbereitungsanlagen.«

Der Abt bleibt unerschütterlich. Allein der Blick aus dem Fenster beweist, dass Gottes Werk gut ist. In einer Falte seines Landes versteckt, liegen hinter dem Kloster die Weinkellerei, die Olivenmühle und die Schnapsbrennerei. Das Kloster ist ein wirtschaftlicher Großbetrieb. »Ich wollte ja eigentlich kein Geschäftsmann werden«, sagt er und scheint tatsächlich zum ersten Mal ein bisschen verlegen. Aber das Kloster ist ein Großgrundbesitz, »so groß wie die Insel Santorin«, sagen die Leute aus Paleokastro. Ein Teil davon ist verpachtet, einen Teil bewirtschaftet Toplou selbst. 20000 Olivenbäume sind ebenso in Gottes Hand wie 20 Hektar mit Weinstöcken, die modernen Stahltanks der Kellerei fassen 200000 Liter. Im Klosterladen werden biologische Seifen, Shampoos und Feuchtigkeitscremes verkauft; bis hin zum universellen »Olive-Spa-Body-Relaxing-Massage-Öl« ist alles im orthodoxen Sortiment, was weltlicher Schönheit und Gesundheit dienlich sein könnte. So einsam das Kloster auch liegen mag – fremd ist ihm die Welt nicht geworden. Und angesichts der Finanzkrise rückt sie noch ein Stück näher. Denn künftig muss Gottes Freund Steuern zahlen wie jeder andere Irdische auch. Im April hat Athen ein Gesetz verabschiedet, das die Kirche zwingt, im nächsten Jahr erstmals ihr Vermögen offenzulegen.

Für die Engländer könnte das Gesetz von Vorteil sein: Wenn die Geschäfte der Kirche florieren, nützt das auch dem maroden Staat. In Paleokastro, keinen olympischen Steinwurf von Tsantakis’ Souvenirgeschäft entfernt, hat die Minoan Group bereits ein Büro eingerichtet. Eine junge Griechin sitzt am Schreibtisch, spricht wunderbares Englisch und lacht freundlich. Sie wartet auf Kunden, die sich für die Wohnungen und Villen der geplanten Dörfer interessieren. Doch das Büro ist immer leer, und Interessenten, die anrufen, werden auf später vertröstet.

Denn noch weiß niemand genau, wer den Streit am Ende gewinnen wird. Selbst das Symbolio Epikratias , das oberste Verwaltungsgericht in Athen, scheint unschlüssig. Schon vor zwei Jahren wurde die Sache verhandelt, das Urteil steht noch immer aus. Ein Gutachten zur Umweltverträglichkeit allerdings, das vom Gericht in Auftrag gegeben wurde, nennt das Projekt bedenklich. Deshalb war Manolis Tsantakis bislang zuversichtlich, dass die Umweltschützer recht bekommen würden. Doch die Krise hat ihn verunsichert: »Wer weiß, was passiert, wenn die Engländer mit noch ein paar Milliarden winken. Und die Kirche mit Steuereinnahmen. Griechenland ist käuflich geworden. Aber dann werden wir vor den Europäischen Gerichtshof ziehen!«

Der Abt glaubt, dass die Engländer bald mit dem Bauen beginnen können. »Vielleicht wird es Einschränkungen geben, aber das Projekt als Ganzes ist nicht in Gefahr.«
Auch Bananas blickt optimistisch in die Zukunft. Er hat neben seinen Bananen und Oliven jetzt auch ein paar Phönix-Palmen gepflanzt. 20000 Stück sollen es sein, munkelt man in Paleokastro. Die Engländer werden sie brauchen, wenn es endlich losgeht mit der Besiedlung der Mondlandschaft. Mit Cavo Sidero und den fünf neuen Dörfern, den Hotels und Golfanlagen.

Anreise: Flug bis Heraklion, einmal pro Woche mit Olympic Air oder Aegean Airlines auch nach Sitia. Von dort weiter mit dem Mietwagen oder dem Bus

Unterkunft: Kouremenos Beach Villas (Tel. 0030-28430/29580) mit gut ausgestatteten Apartments an der Bucht von Kouremenos bei Chiona. Übernachtung für zwei Personen ab 60 Euro
Sitia Beach Resort (Karamanli Avenue, Tel. 0030-28430/288215, www.sitiabeach.com) mit komfortablen Zimmern und Meeresblick hat seine fünf Sterne verdient. DZ ab 122 Euro

Essen: Das Fischlokal Kakavia (Tel. 0030-28430/61227) liegt in der Nähe mehrerer Strände bei Chiona. Wirtin Olga ist in ganz Griechenland als gute Köchin bekannt, das Gemüse kommt aus dem eigenen Garten. Eine Mahlzeit mit Nachtisch kostet ab 17 Euro.
Das Hotel-Restaurant Hellas in Paleokastro (Tel. 0030-28430/61240) hat eine ausgezeichnete Küche, in der traditionelle und wunderbar gewürzte Gerichte zubereitet werden

Auskunft: Griechische Zentrale für Fremdenverkehr, Tel. 069/2578270, www.gnto.gr

Die Zeit - 17.6.2010
© Hans W. Korfmann

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