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Das schwarze Mädchen bemerkte den Alten zuerst. Wahrscheinlich hatte er seine Aufmerksamkeit erregt, als er zurückgelehnt auf der Parkbank saß - reglos, mit geschlossenen Augen und seinem Stock in der rechten Hand. Kleine Kinder halten einen Schlafenden schnell für tot. So kam es auf ihn zu, um ihn näher und genauer zu betrachten.
Doch der Alte war weder tot noch schlummerte er. Durch seine halb geschlossenen Lider beobachtete er, wie das Mädchen näherkam. Er sah, wie es vor ihm stehenblieb und ihn betrachtete. Da riß er plötzlich die Augen auf und hob drohend die rechte Hand mit dem Spazierstock.
»Weg hier, du Murkel! Weg hier!« schrie er dem Kind zu. Doch seine Kraft erlahmte bald, er konnte den Stock nicht länger schwingen, und so ließ er die Hand rasch wieder sinken.
Das schwarze Mädchen war nicht sonderlich erschrocken. Es wich nur einen Schritt zurück und blickte den Alten weiterhin neugierig an. Der murmelte inzwischen nur noch tonlos vor sich hin: »Neger, Araber, Albaner, aus aller Herren Länder... Ein Wunder, wenn man überhaupt noch Griechisch auf der Straße hört... Wir leben in einer Demokratie, heißt es dann... Wehe, wenn sie losgelassen... Metaxas hat nicht einmal Mussolini und seine Italiener nach Griechenland reinlassen wollen, heutzutage werden wir von Albanern und Negern überschwemmt...«
Das kleine Mädchen hörte dem Alten aufmerksam zu, obgleich es kein Wort verstand. Vermutlich fand es Gefallen an seiner vornübergebeugten Haltung, mit der er auf seine Fußspitzen starrte und vor sich hinmurmelte. Doch das Interesse des Kindes erlahmte bald. Kurze Zeit später erschien der nachmittägliche Schwung der einheimischen Parkbesucher und das Mädchen lief hin, um sich erneut der Selbsttäuschung hinzugeben, am Spiel teilzuhaben.

© Diogenes 2005

Petros Markaris: „Balkan Blues“
 

Go to Hellas! - neun Geschichten über die chaotische Großstadt Athen. Die EM ist gewonnen, die Olympiade steht an. Mit neuerwachtem Patriotismus feiern die Griechen ihre Feste, derweil die Einwanderer aus Albanien, Bulgarien und Rußland sich durchs Leben schlagen, so gut es eben geht. Mitten im Getümmel: Kommissar Charitos.

Petros Markaris, geboren 1937 in Istanbul, ist Verfasser von Theaterstücken, Schöpfer einer beliebten griechischen Fernsehserie, Co-Autor von Theo Angelopoulos und Übersetzer von vielen deutschen Dramatikern, u. a. von Brecht und Goethe - zuletzt übertrug er Faust I und II in Versform ins Griechische. Petros Markaris lebt in Athen.

„Kommissar Charitos hat längst Kultstatus. Spannung, Humor und Sozialkritik verbindet Markaris zum Gesamtkunstwerk.“ Welt am Sonntag

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