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Perfide Petersilie

Andreas Staikos:  „Kulinarische Liebschaften“
 

Zarte, durchsichtige Schwaden von Essensdüften, die zwischen den offen stehenden Balkontüren ihrer benachbarten Wohnungen in der sechsten Etage des Hauses Averoff-Straße 18 hin- und herzogen, brachten Damoklis Dimou und Dimitris Isavridis einander näher.
Ihr erstes persönliches Zusammentreffen fand vor dem Fahrstuhl auf ihrer Etage statt und beschränkte sich auf einen kurzen Gruß. Auf dem Weg abwärts wurde das Schweigen durch den etwas leutseligeren Damoklis gebrochen. ”Sind Sie nicht derjenige, der regelmäßig voller Hingabe Unmengen von Petersilie mit der Schere klein schneidet? Ich wette, die verarbeiten Sie zu Petersiliensalat.” Dimitris Isavridis fühlte sich durch Damoklis´ Bemerkung erheblich auf den Schlips getreten. Für das Naturell seines Türnachbarn gingen ihm alles andere als schmeichelhafte Bezeichnungen durch den Kopf. Seine Küche lag direkt an der Trennwand ihrer beiden Balkone und er stellte sich lebhaft vor, wie Damoklis auf einen hohen Schemel stieg, bis sein Kopf über die Milchglasscheibe der Zwischenwand lugte, wie er mit geschickten, aber halsbrecherischen Verrenkungen hin- und herbalancierte und sich Szenen seines Intimlebens einverleibte. Sein Nachbar erwies sich demnach als Küchenvoyeur. In der Tat hatte Dimitris die Angewohnheit, die Petersilie, nachdem er die Blätter sorgfältig von den Stängeln gezupft hatte, auf ein Servierbrett zu legen und mit einer kleinen Schere zu zerschneiden. Die dunkelgrünen, klitzeklein geschnittenen Blätter regneten auf das Servierbrett wie Konfetti, sobald die beiden Klingen sie freigaben. Der hatte ihn bestimmt schon öfter beobachtet, dieser abscheuliche Küchenvoyeur! Er hatte ihn gewiss halbnackt – bloß mit der Montur des Kochs, mit Schürze und Haube, bekleidet – erspäht. Denn Dimitris pflegte mit Unterbrechungen zu kochen, und zwar in den Pausen seiner Liebesspiele mit Nana. Etliche Male war ihm Nana, halbnackt oder sogar ganz nackt, in die Küche gefolgt und hatte ihm Gesellschaft geleistet, während er eine Zitrone auspresste oder kleine Stückchen Hühnerfleisch anbriet. Und sein grässlicher Nachbar hatte alles gesehen! Dimitris schauderte. Er blieb stumm, während Damoklis dachte, dass sein neuer Wohnungsnachbar - ein verschlossener und ungeselliger Typ - unmöglich selbst kochte, und sicherlich einer dieser verbohrten Hagestolze war, die noch bei ihrer Mutter lebten. Bestimmt bereitete seine Mutter oder irgendeine Tante vom Dorf so wohlriechende Speisen zu.

© Eichborn 2001

In 17 appetitanregenden Kapiteln entführt uns Andreas Staikos in die Ägäis - und schenkt uns neben einer höchst amüsanten Amour fou die Rezepte griechischer Gerichte, so exquisit, wie sie hierzulande keinerkennt.

Andreas Staikos, 1944 in Athen geboren, hat sechs Theaterstücke geschrieben, zahlreiche französische Klassiker ins Griechische übersetzt und kocht hervorragend. Er wohnte bis vor kurzem in jenem Athener Hochhaus, in dem der Roman spielt.

„...der köstlichste Roman, den Sie je lesen werden“, The Times

 

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