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Erster Teil
Mythos der ägyptischen Jahre

Rhea Galanaki: „Das Leben des Ismail Ferik Pascha“


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Der Junge dachte, der Schlüssel könnte ins Schloß zurückfinden und damit sein Leben mit einem sanften metallischen Klang in einen sinnvollen Zusammenhang rücken. Er zählte die dazu notwendigen Bedingungen an den Fingern einer Hand ab: Die Türken und die Ägypter durften das Dorf nicht niederbrennen. Ihre Reiterei mußte aus der ganzen Hochebene zusammenströmen und sie durch denselben unbewachten Engpaß wieder verlassen, durch den sie in den unzugänglichen Landstrich eingedrungen war. Gott mußte die flehenden Gebete erhören und durfte den verborgenen und den offenkundigen Sünden nicht den gleichen Stellenwert zumessen. Und schließlich mußten sowohl die Dämonen und Feen der Höhlen als auch die Heiligen der Kirchen angerufen werden.
Er hörte, wie seine Mutter vom Eingang der Höhle her nach ihm rief. Das Licht schien ihren Körper in zwei Hälften zu teilen und bildete eine schräge Linie - so blau wie der Wind und so grün wie das Moos, das die Felsen in der Nähe des Eingangs bedeckte. Auch ihre Stimme empfand er wie eine schräge Linie aus Gras und Himmel, wie einen Pfeil, der von ihrem Körper losgeschnellt und an seiner Seite niedergesunken war. Dort begann die Finsternis, noch dunkler als die groben Holzscheite, die in der häuslichen Herdstelle lagen. Nichts rührte sich im Dunkeln. Die Hand an der Spindel weigerte sich, die Wolle zum Faden zu spinnen, die Hand am Riemen weigerte sich, die Zügel zu lockern, die Hand seines älteren Bruders klammerte sich an die aufgehäuften Äpfel. Da verlor sich der Duft der Äpfel. Kein Blätterrauschen und kein Tierlaut war zu vernehmen. Nicht einmal das feindliche Kampfgeschrei. Dieselbe Finsternis verschlang auch den Schlüssel des Hauses.
Wiederum hörte er ihre Stimme. Das bis dahin ungetrübte Wasser seiner jungen Tage begann, Bilder in schneller Abfolge widerzuspiegeln. Die Wortfetzen aus dem Mund der Mutter schienen mit dem Wasser dahinzurauschen.
Er würde nicht mehr zu ihr zurückkehren. Er wollte die Dunkelheit der Höhle erfahren.

© Suhrkamp 2001

Ismail Ferik Pascha, hoher Würdenträger Ägyptens, von Geburt jedoch Grieche und Christ, wird nach Kreta entsandt, um dort einen Aufstand niederzuschlagen. Auf dramatische Weise sieht er sich in seiner alten Heimat mit seiner Vergangenheit konfrontiert.

Rhea Galanaki, geb. 1947 in Heraklion, gehört zu den führenden Stimmen der neuen Schriftstellergeneration in Griechenland. Das Leben des Ismail Ferik Pascha war ihr erster Roman. Er erschien mit großem Erfolg und fand auch international Beachtung.

„Eindringlicher kann die seltsame Identität der modernen Griechen, die sich ihr Wesen von den Nordeuropäern erst erklären lassen mußten und dabei ihre orientalischen Traditionen verdrängten, nicht behandelt werden.“ FAZ

 

 

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