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Pücklerstraße

Hermann Ludwig Heinrich Fürst von Pückler-Muskau war schon ein toller Hecht! Heutzutage nur mehr als Eissorte in aller Munde, galt er zu Lebzeiten als Draufgänger und Abenteurer. 1785 im Schloß zu Muskau geboren und schon früh als schwer erziehbares Kind eingeordnet, verbrachte er einen großen Teil seiner Jugend in Internaten. Vielleicht deshalb entwickelte sich in ihm schon früh der Wandertrieb und führte ihn zu seiner Lieblingstätigkeit, der er zeitlebens frönte: dem Reisen.
Ein Zeitgenosse beschreibt den Zurückgekehrten: „Er selbst lebte in Muskau ohne Rücksicht auf deutsche Lebensweise. Nicht um den Sonderling zu spielen – was wohl oft bei ihm vorkam, denn es wohnte comödiantisches Gelüst in ihm – sondern weil es ihm eben paßte. Weil er sehr spät zum Schlafen kam, gab es für ihn einen sehr späten Morgen. Auch wenn er erwachte, blieb er noch lange im Bett und las die Zeitungen. Erst gegen Elf oder Zwölf stand er auf, zog ein orientalisches Négligé an und frühstückte Kaffee, Eier, Fleisch. Dann brachte ein Diener die lange türkische Pfeife mit der glühenden Kohle auf dem starken Latakiah-Tabak, und Haus- wie Stalldiener traten ein, um den Tagesbefehl zu erhalten, namentlich der Stallmeister und Koch.“
Lange vor seinen Orientreisen, zwischen 1815 und 1822, hielt er sich häufig in Berlin auf und war immer für eine aufsehenerregende Eskapade gut. So begleitete er den Luftschiffer Reichard in seinem Ballon bis in eine Höhe von dreitausend Metern, gab sich Pferderennen hin, vollführte Reiterkunststücke, absolvierte Auftritte als Sänger und Schauspieler gelegentlich agierte er als Hazardspieler. Sein romantisches Gemüt verführte ihn einmal zu einem makabren Abenteuer auf seinem Stammschloß: Er ließ die Särge in der Familiengruft öffnen und schwelgte beim Anblick seiner vermoderten Verwandten in morbiden Erinnerungen. Doch den Vogel schoß er mit seinem Werben um Lucie von Pappenheim ab, einer Tochter des preußischen Staatskanzlers Hardenberg. Zu diesem Zweck ließ Pückler eine Kutsche mit gezähmten Hirschen anspannen, mit der er durch die preußische Hauptstadt paradierte. Es wird wohl für immer ein Rätsel bleiben, wie Pückler die freiheitsliebenden Tiere zusammenspannen und dem menschlichen Willen unterwerfen konnte. Und Gräfin Pappenheim, die zehn Jahre ältere und nicht mehr ganz taufrische Umworbene, ließ sich beeindrucken. Denn die Finanzen des Erbes Muskau waren zerrüttet, der Vater hatte den Großteil verpraßt und der junge Pückler hatte sich auf die Suche nach einer wohlhabenden Braut gemacht - und sie in der Gräfin Pappenheim gefunden.
1817 ging er diese Vernunftehe ein, aus der sich jedoch eine tiefe Freundschaft entwickelt. Lucie liebte ihn, doch Pückler machte kein Hehl aus seinen Liebesabenteuern mit jüngeren Frauen. Und Lucie akzeptierte alles, so lange er diskret vorging und sie das Gesicht dabei nicht verlor. Einmal ging Pückler sogar so weit, Lucie eine Mesalliance zu dritt mit ihrer Ziehtochter vorzuschlagen. Als Lucies Erbe aufgebraucht war – in der Verschwendungssucht standen beide einander nichts nach – ließen sich Pückler und Lucie scheiden, damit er in England auf Brautschau gehen und die Muskauer Besitzungen retten konnte. Doch Pückler kehrte mit leeren Händen zurück, da die prüden Engländerinnen angaben, sich an der Seite eines Geschiedenen wie Konkubinen zu fühlen.
1830 entdeckte der umtriebige Fürst eine weitere Einnahmequelle, nämlich die Vermarktung seines schriftstellerischen Talents. Er veröffentlichte auf Betreiben Lucies die „Briefe eines Verstorbenen“, die er von seinen verschiedenen Reisen an sie geschrieben hatte. Das Werk erlebte mehrere Auflagen, wurde in etliche Sprachen übersetzt und finanzierte zumindest Pücklers Abenteuerfahrten. An diesem Buch, wie auch an Pücklers Person generell, schieden sich die Geister. Begeisterung über den spitzen Plauderton und Ablehnung der Frivolitäten hielten sich die Waage.
Auf die schwerste Probe stellte Pückler die Geduld seiner „Schnucke“ oder „Mammeli“, wie er sie in seinen Briefen nannte, aber im Herbst des Jahres 1840. 1834-40 unternahm er nämlich eine große Orientreise, die ihn von Paris über die Pyrenäen nach Algerien, Tunesien, Griechenland, Kreta, Ägypten, ins Heilige Land, nach Syrien und in die Türkei führte. 1835 traf Pückler in Algier ein und begründete vor Lucie den Kauf von Ajiamé, einer kaum zehn Jahre alten abessinischen Schönheit, auf dem Sklavenmarkt von Kairo folgendermaßen: Sein Ziel sei es, „den Charakter dieses originellen Mädchens zu studieren, an der die Zivilisation noch nichts hatte verderben noch verbessern können“. Und was als Beziehung eines alternden Pygmalion zu einer blutjungen Sklavin begann, wurde zu tiefer Zuneigung. Aus einem exotischem Spielzeug entwickelte sich eine gleichwertige Partnerin. Ajiamé gestand Pückler schließlich ihren wirklichen Namen, Machbuba, „die Goldene“, deren Haut der Vielgereiste und Vielgeliebte seiner Biographin beschrieb: „Wenn die Sonne sie beschien, so verlieh ihr dieselbe einen märchenhaften Glanz; ihr Teint glich dann einem über Goldplatten ausgebreiteten dunklen Seidenflor, und ihre Haut war weicher wie Atlas und Sammet, oder, wie Pückler sie schilderte, weicher wie der Flaum eines Kolobris“. Machbuba wurde zu einem festen Bestandteil in Pücklers Leben und begleitete den Fürsten stets als junger Mameluk verkleidet. Schon eine Weile vor seiner Rückkehr nach Muskau begann Pückler die Frage zu quälen, wie sich Lucie, die Schnucke, zu Machbuba stellen würde. Pückler wendete seine ganze Überredungskunst auf, um seiner guten Mammeli das schwarze Mädchen schmackhaft zu machen - „als eine exotische Merkwürdigkeit, eine Sklavin und eine gute Dienerin für einen alten Invaliden“.
Die Fürstin reagierte heftig, als sie zudem mitbekam, daß Pückler Muskau verkaufen wollte. Sie setzte alle Hebel in Bewegung, um das zu verhindern, und reiste ihm sogar bis Budapest entgegen. Man einigte sich daraufhin gütlich, sowohl was Muskau als auch was Machbuba betraf. Das Mädchen sollte ein Jahr lang in einem Wiener Internat an europäische Umgangsformen gewöhnt werden. Pückler hatte sie zwar überall als seine Pflegetochter vorgestellt und für gesellschaftliche Furore mit dem dunklen Kind gesorgt, doch keiner glaubte wirklich an diese Lebenslüge. Urplötzlich, vom einen Tag auf den anderen wurde Machbuba - vielleicht aus Heimweh - krank, verfiel zusehends und vertrocknete wie eine exotische Pflanze. Und Pückler sah sich außerstande, sich von der Schnucke in Berlin loszureißen, als der Todeskampf Machbubas in Muskau dem qualvollen Ende entgegen ging. Was ihn jedoch nicht daran hinderte, exzessiv um sie zu trauern.
1845 ließ sich der Verkauf von Muskau nicht mehr abwenden, das durch Pücklers künstlerische Gestaltung des Landschaftsparks berühmt geworden war. Schon kurz darauf wendete sich der Tatendrang des Fürsten dem Schloß und der Gartenanlage in Branitz bei Cottbus zu. Beizeiten ließ er sich dort einen elf Meter hohen Tumulus, eine Grabpyramide inmitten eines Sees, errichten. Vor seinem Tod bestimmte er den Ablauf der Zeremonie, doch das Übersetzen eines Nachens zur Pyramide wurde durch starken Frost vereitelt. Aber Pücklers Wunsch, sein Herz in eine mit Schwefelsäure gefüllte Kupferurne zu legen und seinen Körper im Eichensarg mit ätzenden Substanzen zu bedecken, wurde entsprochen. Der heutige Besucher von Branitz kann von einer zweiten Landpyramide aus den Tumulus betrachten und über den Koranspruch sinnieren, den Pückler dort anbringen ließ: „Gräber sind die Bergspitzen einer fernen neuen Welt.“

© Kreuzberger Chronik Nr. ??/?? ??

Literatur: Heinrich Laube, Erinnerungen, Wien 1882. Eckart Klessmann: Fürst Pückler und Machbuba. Rowohlt Berlin 1998

Kreuzberger Chronik: Geschichte

 

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