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Laura Méritt, Sexpertin

Dildo bzw. Dilda, mit dem lateinischen Wort delectare - zu deutsch: ergötzen - verwandt, bezeichnet ein phallusförmiges Sex-Spielzeug.
Schon in der Antike dienten Früchte und andere Naturalien den Frauen zum Lustgewinn. Auch Holz, Leder, Glas und Stein waren beliebte Materialien für das längliche Gerät. Doch die Frauen sprachen selten über diese Seite ihrer Lust, und wenn sie es taten, so wurden sie in Hexenprozessen oder als Huren schnell zum Schweigen gebracht. Laura Mérrit hat ihr Leben in den Dienst des erotischen Spiels gestellt, mit ihrem Hexenlachen begleitet sie die Begründung ihrer Wahl, nämlich: „mit der sexuellen Energie der Frauen die Welt zu verändern.“
Als erster Schritt dazu dient ihr die Untersuchung, wie Männer und Frauen sprachlich mit diesem Thema umgehen. „Ich finde es interessant, den Wörtern auf die Spur zu kommen, wie und wann etwas in einer bestimmten Weise benutzt wurde, die Geschichtsschreibung fand hier einfach nicht statt. Ich habe ein Sexicon, ein Wörterbuch, geschrieben, wo viele Anregungen zum Spiel mit Wörtern enthalten sind. Es soll helfen, ein bißchen hinter die Wörter zu kucken und, speziell beim Sex, nicht immer alles gleich negativ zu nehmen.“
Daß die Herren der Schöpfung Hand an sich legen, ist ja in seiner praktischen und in seiner sublimierten Form (als Dichtung, Erfindung, Philosophie u.ä.) wohlbekannt. Daß Frauen ähnliches treiben und begehren ist von der männlichen Tradition immer schon totgeschwiegen worden. In den Neunzigern ist der Dildo, dessen Geschichte sich bis 30000 v. Chr. zurückverfolgen läßt, zu einem Kultobjekt geworden, in zeitgemäßer Silikon- und Latexform steht er für die Bewußtwerdung der weiblichen Sexualität.
Auf diesem Gebiet engagiert sich Laura Mérrit unter der Selbstbezeichnung Sexpertin seit gut fünfzehn Jahren. In der Tradition von Suzy Sexpert und Annie Sprinkle, den Pionierinnen weiblicher Lusterfüllung, begann sie ihre Tätigkeit mit einem Vertreterköfferchen in der Hand, prall gefüllt mit Überraschungen für die weibliche Kundschaft. Heute platzt ihre Kollektion im Büro ihrer Wohnung aus allen Nähten, und jeden Freitag nachmittag treffen sich interessierte und neugierige Frauen im Damen-Salon, um zum Thema zu tratschen, die neuesten Modelle zu bestaunen und sich beraten zu lassen. „Ich wollte nie einen Laden haben, früher in Charlottenburg hab ich das in meiner Küche, dem traditionellen Reich der Frau, gemacht. Ich hatte ein Regal in der Ecke und das war´s dann.“ Seit zwei Jahren betreibt sie den (Versand-)Handel mit den geheimnisvollen Gerätschaften in Verbindung mit ihrer eigenen Variante der Salon-Kultur über den Dächern von Kreuzberg. Im fünften Stock eines Altbaus in der Fürbringerstraße empfängt sie ihre Gäste in stilvollem Ambiente. Stolz präsentiert sie ihre Sammlung, die sie auf mühsamen Forschungsreisen und nach intensiven Recherchen vor allem in den beiden Eldorados der Sexklusivitäten, San Francisco und New York, zusammengetragen hat.
Laura Mérrit ist ein Kunstprodukt und ein Pseudonym. „Nenn mich wie du willst“, sagt sie, „ich höre auf alles.“ Geboren und aufgewachsen im Saarland, nach Lehrjahren in Luxemburg, dem Studium der Linguistik, Germanistik und Politikwissenschaft in Trier und Frankfurt kam sie nach Berlin. Ihre Eltern, meint sie, hätten sich nach Anfangsschwierigkeiten  an ihre Berufswahl als Sexpertin gewöhnt. „Diese Tabuthemen werden fälschlicherweise ausgeklammert, die Leute haben Angst davor oder können damit nicht umgehen. Aber auch meine Eltern haben sich mit mir sehr weiterentwickelt, mit meiner Mutter kann ich zum Beispiel über alles reden. Man muß jeder Person Zeit geben.“
In Laura Méritt verschmilzt Kunstfigur, Geschäftsfrau und Mensch zu einer untrennbaren Einheit. So trennt sie auch nicht in Laden und Privatwohnung, sondern läßt beide Bereiche ineinanderfließen, ohne sich ihren Besucherinnen jemals preiszugeben, obwohl ihre Tätigkeit an das Privateste rührt. Eine Gratwanderung, die sie hinter der komödiantischen Maske der Laura Méritt bewältigt.
In ihrem Büro stehen und liegen alle ihre Lieblinge aufgereiht: der Verkaufsschlager zum Beispiel, der Cyberskin Cock, ein absolut naturgetreues Modell aus erwärmbaren Plastik, in der Farbe dezent und seidig glatt wie menschliche Haut. Laura verweist grinsend auf die Gebrauchsanweisung, die zu regelmäßigem ausführlichen Reinigen mit antibakterieller Seife und reichlich Wasser rät, dann zu sanftem Abtrocknen mit einem weichen Handtuch und Einpudern, damit „er“ weiterhin so form- und farbschön bleibt.
Gibt es Dildos mit Netzbetrieb oder nur mit Batterie? Auf diese Frage antwortet Laura Méritt kompetent und wie aus der Pistole geschossen, so als verkaufe sie Kaffeemaschinen oder Kühlschränke: Bei Batteriebetrieb sollte die Benutzerin darauf achten, daß alle Batterien gleich geladen sind, sonst eiert nämlich das Gerät. Es gibt da beispielsweise ein ganz besonderes Modell in hochzeitsweiß mit Rosenapplikation, aus hochwertigem Silikon mit Perlenfüllung, das mit Fernbedienung funktioniert. Laura bricht in schallendes Gelächter aus, bei dem Gedanken an den unermüdlichen Einsatz bei Jungverliebten, was der Lebensdauer des Geräts möglicherweise frühzeitig den Garaus macht. Denn der Dildo ist ja nicht nur ein Witwentröster, sondern ein Liebesdiener, der in jeder Partnerschaft zur Wirkung kommen kann. Lauras charakteristisches Lachen ist ihr Markenzeichen, ihre Art, der therapeutischen „Sexarbeit“ den tierischen Ernst zu nehmen und spielerisch damit umzugehen.
„Sexspielzeug wird ja vorwiegend von Männern entworfen“, echauffiert sie sich. Da kämen Frauen und ihre Bedürfnisse oft zu kurz. Eine Sache, die ihr besonders am Herzen liegt und auf die sie selbst bei ihren Design-Entwürfen eingeht, ist die „Unterversorgung der Clit“. Durch spezielle Noppen oder Fortsätze soll dieser Bereich der weiblichen Lust stimuliert werden. Doch Laura räumt ein: „Ich habe mittlerweile auch einen Kundenstamm an heterosexuellen Männern, die lernen und sich weiterbilden wollen“.
Auch andere Modelle erregen die Aufmerksamkeit der kauffreudigen Kundinnen, wie etwa die klassische Variante des Dildos in Delphin- oder Walform. „Der Fisch“, so erklärt Laura, „war immer ein aphrodisierendes Tier, ganz im Gegensatz zur christlichen Tradition, wo er durch eine völlige Umwertung zur Fastenspeise mutierte.“ Viele dieser Gerätschaften sind blau, denn Blau ist, wie in Lauras Animösitäten & Sexkapaden, ihrem lesbischen Sexwörterbuch zu lesen steht, seit der Aufklärung, neben Rot und Blond, die klassische Farbe der Erotik.
Ein Lieblingsteil Lauras ist die handgenähte Möse aus Samt, an der sie anschaulich den G-Punkt demonstriert. Liebevoll bestickt mit Perlen , Röschen und Zäpfchen dient sie ihr als Vorzeigeobjekt für ihre Beratung. Kaum notwendig zu erwähnen, daß Laura für safer sex wirbt und jegliche Praktik, selbst die mit Dildos und Vibratoren, nur mit Überzieher anrät. Ihr Bekenntnis lautet: „Alles ist erlaubt, wenn die drei K erfüllt sind: Kommunikation, Kooperation, Kopulation.“
Einmal im Monat, im Lesbischen Quartett in der Passionskirche, tritt Laura Méritt weniger als Sexpertin auf als in ihrer Eigenschaft als Literaturwissenschaftlerin und Linguistin. Dabei bringt sie mit ihren GesprächspartnerInnen die Kirche zum Erbeben - und zwar vor Lachen über die bissig-ironischen Kommentare, mit denen sie Belletristik von und über Frauen bedenkt. Und immer wieder gräbt sie eine längst vergessene Klassikerin der Frauen- und Lesbenliteratur aus, die sie den heutigen Leserinnen ans Herz legt. Und viele gehen mit dem geheimen Wunsch nach Hause, vielleicht doch einmal ein Spielzeug aus Lauras Wunderkoffer auszuprobieren. Ein vollkommen angemessener Wunsch im neuen Jahrtausend, das von allen Vorausdeuterinnen als das der Venus angesehen wird.

© Kreuzberger Chronik Nr. 11/Januar 2000

Kreuzberger Chronik: Portrait

 

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