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Buchbesprechung von Michaela Prinzinger
Nikos Panajotopoulos: Heiligmacher. Roman. Aus dem Neugriechischen von Birgit Hildebrand. Reclam Leipzig 2005.

Bereits durch seinen ersten Roman „Die Erfindung des Zweifels“ hatte Nikos Panajotopoulos das deutsche Feuilleton und Lesepublikum überzeugt. Sein neuer Roman „Heiligmacher“ ist eine spannende Lebensbeichte. Darin berichtet der Erzähler, Stathis Antoniou, von den letzten Stunden eines Mannes namens Ioannis Orphanos aus dem Dorf Thermo, der über dreißig Jahre lang als Wundertäter und Heiliger verehrt wurde.
Als kleiner Junge hatte Orphanos nach einer visionären Erscheinung in einer Scheune vergrabene Menschenknochen gefunden, die als die sterblichen Überreste Johannes des Täufers identifiziert wurden. Damit begann seine Laufbahn als wundertätiger Heiliger, durch dessen Gegenwart Kranke geheilt werden, Todgeweihte wieder auf die Beine kommen und Sünder ein Einsehen haben. Zugleich erwachte neben der Frömmigkeit der Geschäftssinn der Dorfbewohner, die dem Jungen zunächst ein Haus im Dorf zur Verfügung stellten und ihn später in seiner Entscheidung unterstützten, als Einsiedler in derjenigen Höhle zu hausen, wo ihm Johannes der Täufer erschienen war.
Als Ioannis Orphanos seine Höhle verlassen und einmal in seinem Leben das Meer sehen möchte, tritt die Lebenslüge sowohl des "Heiligen" als auch der Dorfbewohner zutage: Die hochverehrte Reliquie Johannes des Täufers entpuppt sich als das Skelett eines heimlich ermordeten und eilig verscharrten Dörflers. Man nahm in Thermo dieses Wissen in Kauf, um an die wundertätige Kraft des für den wirtschaftlichen Aufschwung der Region unerläßlichen Heiligen glauben zu können. Doch die Enttäuschung der Dorfbewohner ist maßlos und ihre Wut unbändig, als Orphanos aus der Rolle zu fallen droht.                 

 

Herr Panajotopoulos, liegt Ihrem Roman eine persönliche Erfahrung zugrunde?
Ja, der Besuch eines der bekanntesten griechischen Klöster im Jahr 1993. Zunächst einmal war ich vom riesigen Parkplatz beeindruckt, und in der Folge sprachlos, als ich vor einem steinernen Taufbecken stand, das von den Geldspenden der Gläubigen überquoll. In der klösterlichen Buchhandlung erwarb ich einen Band, in dem die äußerst produktive Äbtissin (sicher eine der erfolgreichsten griechischen Schriftstellerinnen, da ihre Bücher zu hunderttausenden zirkulieren) die wundersame Chronik der Klostergründung erzählt und einen umfangreichen Rechenschaftsbericht über die Wundertaten der Heiligen vorlegt, zu deren Andenken diese ganze Marketingmaschinerie in Gang gesetzt wurde...

Wie erklärt sich der besondere Sprachduktus des Erzählers?
Zwischen der ersten Eingebung und der Herausgabe des Romans liegen zehn Jahre. Eine der größten Herausforderungen war es, die passende Sprachform für den Erzähler zu „erfinden“, weil in seinem Idiom das Ringen zwischen der Gelehrtensprache und der alltäglichen Volkssprache zum Ausdruck kommen sollte. Der sogenannte „Sprachenstreit“ führte im Verlauf des ganzen 20. Jahrhunderts zu intensiven Auseinandersetzungen zwischen den „progessiven“ und den „konservativen“ Kräften. Selbst heute kann man den Nachhall der Gelehrtensprache Katharevousa im öffentlichen Diskurs der Politiker und Kirchenobersten noch heraushören...

Bildet die Orthodoxie das eigentliche Thema des Romans oder dient sie bloß als Dekor, als Metapher?
Da mein Roman eine Heiligenvita erzählt, spielt er notgedrungen vor dem Hintergrund des orthodoxen Glaubens. Gleichzeitig bildet er jedoch auch das Thema. Um Mißverständnissen vorzubeugen, muß ich klarstellen, daß das Wort „Orthodoxie“ „Rechtgläubigkeit“ bedeutet. Ich wollte eine Allegorie auf die Macht des Glaubens schreiben, die zumeist nichts anderes als eine Massenpsychose, eine Art trügerischer Hörigkeit ist. Ich wollte diese Frage über den religiösen Glauben hinaus ausweiten, denn viele demonstrieren ihren Glauben an politische Führer oder Fußballklubs mit einem ebensolchen „orthodoxen“ Fanatismus. Das Buch zielt also auf alle möglichen Spielarten von „Rechtgläubigkeit“ ab...

© Griechenland Zeitung 9. 12. 2005

Griechenland Zeitung: Rezension


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